Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
empfand eine ganz neue Art der Herausforderung, als er dort alleine, nur mit seiner Gitarre und seiner Stimme bewaffnet, auf der Bühne stand und seine persönlichsten Gedanken offenbarte.
Gleichzeitig war bei den Castiles, die inzwischen alle die Highschool abgeschlossen und ihre ersten Jobs angetreten hatten oder aufs College gingen, langsam die Luft raus. Für Rock’n’Roll-Verhältnisse war die Auflösung der Band längst überfällig; Teeniebands sind in der Regel ziemlich kurzlebige Erscheinungen. Obwohl sich alle über das unausweichliche Ende klar waren, wurde die letzte Phase noch sehr zermürbend. So waren Bruce und Theiss spätestens ab Mitte Juli nicht mehr in der Lage, auch nur noch ein vernünftiges Wort miteinander zu wechseln. Bei einer Show im Off Broad Street hielt ein Fan eine aufschlussreiche Szene mit der Kamera fest: Ein sichtlich genervter Bruce zeigt einem sichtlich gereizten, mit seinem Mikrofon umherfuchtelnden Theiss den Stinkefinger. Es herrschte also alles andere als eitel Sonnenschein bei den Castiles – und zwar noch bevor sie es mit der Polizei zu tun bekamen.
Der Vorfall ereignete sich in der ersten Augustwoche 1968. Gewiss waren nicht alle jungen Leute in Freehold den Drogen und anderen Lastern verfallen, die zu den Markenzeichen ihrer Generation geworden waren, dennoch fand die zuständige Polizeibehörde, dass die Menge an Drogen, die in der Stadt kursierte, und der Konsum derselben beunruhigende Ausmaße angenommen hatten. Und ganz falsch lagen sie mit dieser Einschätzung nicht. An Marihuana kam man seit dem Sommer 67 erstaunlich leicht heran, sofern man die richtigen Leute kannte. Im Sommer 68 beschafften dieselben Leute einem alles, was man haben wollte: LSD, Magic Mushrooms, Amphetamine, Tranquilizer, Kokain, DMT, Crystal Meth, Heroin – die ganze Palette. Wer gerade auf welche Drogen stand, war immer ein Gesprächsthema. Nachdem eine Gruppe Kiffer eines Tages auf die Idee kam, Halsbänder mit kleinen bunten scheibenförmigen Anhängern (Beigaben in Frühstücksflockenpackungen) als Code zu verwenden, mussten Eingeweihte nicht mehr lange raten: Grün stand für Gras, Gelb für LSD, Rot für Speed und so weiter. Für die sorglosen Kids aus Freehold war das alles nur ein großer Spaß, bis sich herausstellte, dass es in ihren Reihen einen Drogenfahnder gab oder zumindest jemanden, der einer sein wollte. Nachdem die Beamten die Farbcodierung kannten, brauchten sie nur knapp eine Woche, bis sie Namen, Adressen und Lieblingsdrogen ermittelt hatten.
Die Einsatzwagen brachen um vier Uhr morgens auf, und die Beamten statteten fast jedem Stadtviertel einen Besuch ab. Mitten in der Nacht hämmerten sie wild gegen Türen, wedelten mit Durchsuchungsbeschlüssen, sammelten ein, was zu finden sie erwartet hatten, und brachten die jungen Gesetzesbrecher ins Gefängnis. Im Morgengrauen machte sich in der ganzen Stadt Empörung breit. »Sie wohnten alle noch bei ihren Mamis und Papis, und dann kam die Polizei und nahm sie einfach mit!«, spottet Bruce. »Es war mitten in der Nacht! War das nicht unerhört? Es hatte doch noch nie Razzien gegeben. Nicht nur das Wort, auch das, was es bedeutete, war den Leuten hier fremd. Alle waren entsetzt. So etwas hier in River City?« Die Castiles waren von den Ereignissen direkt betroffen, denn auch Vinny Maniello, Paul Popkin und Curt Fluhr gingen den Drogenfahndern ins Netz. »Eines Morgens wachte ich auf und die Hälfte der Jungs war weg«, so Bruce. »Nur George und ich waren noch übrig, und wir sagten uns: ›Ok, das scheint der richtige Zeitpunkt zu sein, um einen Schlussstrich zu ziehen.‹«
Ein, zwei Tage später lernte Bruce zufällig John Graham und Mike Burke kennen, zwei Musiker aus New Shrewsbury, die etwas jünger waren als er (sechzehn oder siebzehn). Nach einer eher unbefriedigenden Zeit in einer Blues- und Stones-Cover-Band namens Something Blue waren der Bassist und der Drummer gerade auf der Suche nach einem Sänger und Gitarristen. Sie bekamen mit, wie Bruce von der Razzia in Freehold erzählte. Die drei Musiker unterhielten sich ein wenig und fanden heraus, dass sie alle eine große Vorliebe für Cream und die Jimi Hendrix Experience hatten – die besten psychedelischen Bluesbands, und zudem beides Trios. Sie beschlossen, sich bald wieder zu treffen, zumal für den gebuchten Castiles-Gig am 10. August im Le Teendezvous noch ein Ersatz-Act gefunden werden musste. »Ich war bereit für ein Powertrio«, sagt Bruce. »Ich glaube,
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