Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
abgelöst, in der Douglas Fairbanks, Peter Pan und die Wachen des Buckingham Palace ebenso eine Rolle spielen wie der berüchtigte Hell’s-Angels-Boss Sonny Barger. Es folgen Segelschiffe, Streitwagen, »sunlight soldiers« und ein namenloser Kerl, der sich weigert, mit seinem Wagen auf der Autobahn zu fahren. Schließlich geht die Band zu einer lebhaften Drei-Akkorde-Improvisation über (die drei Jahre später zum Schlussteil von »Kitty’s Back« umfunktioniert wird), und die Traumwelt findet ihre Inkarnation in einem Musiker: »playing with his guitar singing, he goes down upon the green hillside … and sunlight soldiers dance and sing before your very eyes.«
Selbst »Jungleland«, das zehnminütige Miniepos von Born to Run, wirkt beinahe blass im Vergleich zu »Garden State Parkway Blues« mit seiner arabesken, modularen Struktur. Die Songs aus der Steel-Mill-Phase landeten schon bald in der Schublade, und Bruce hat sie seither – vierzig Jahre sind inzwischen vergangen – nie mehr öffentlich gespielt. 2 Zumindest räumt er heute ein, dass sie ihm »Spaß« bereitet haben und er den Bezug zu seinen späteren Stücken immer noch heraushört. »Später habe ich die Sachen gestrafft, wie bei ›Rosalita‹ und ein paar anderen frühen Nummern, in denen es etliche Drehungen und Wendungen gibt«, sagt er. »Diese Dinge haben mich einfach gereizt. Steel Mill spielten solche Sachen eine ganze Zeit lang, und den Leuten hat es gefallen.«
Tinker West gefiel es mit Sicherheit. Aber Bruce stand gerade erst am Anfang seiner Karriere, und niemand konnte wissen, wie weit er und Steel Mill es bringen würden. Zu einer Zeit, zu der The Grateful Dead, Jefferson Airplane, Santana und eine ganze Reihe anderer Hippie-Bands weit weg im fernen San Francisco waren und die Herren von der Plattenindustrie es mit dem Aufwand bei der Suche nach neuen Talenten nicht übertrieben, wusste Tinker genau, wo seine Band die besten Aufstiegschancen hatte.
Zunächst wandte sich West an seinen Freund Doug »Goph« Albitz, der zuletzt mit Wavy Gravy in Woodstock zusammengearbeitet hatte. Hauptberuflich leitete er zu jener Zeit die Küche des Esalen Instituts, das einige Fahrtstunden südlich von San Francisco in Big Sur lag. Das Esalen Institut war ein beliebter Meditations- und Erholungsort für begüterte Hippies und zog mit seiner Mischung aus Exklusivität und alternativen Idealen einige der seinerzeit berühmtesten Künstler und Musiker an. Die Beatles hatten (ohne Paul McCartney) auf Esalens grünen Hügeln meditiert. Auch Bob Dylan machte hier eine Stippvisite und wies damit Simon and Garfunkel, Arlo Guthrie und Joan Baez den Weg. Die meisten dieser Künstler traten auch in Esalens Kunstscheune mit ihrem wunderbaren Meeresblick auf. Als Goph erwähnte, dass das Institut noch nach einer Band für seine End-of-the-Sixties-Sylvester-party suche, nahmen die Dinge ihren Lauf.
Am Tag nach Weihnachten setzte sich der kleine, aus zwei Wagen bestehende Konvoi in Bewegung: West und Bruce reisten in Wests restauriertem 48er Ford Pickup; Roslin, Lopez und Federici legten die Strecke in einem Kombi zurück. In Memphis wurde die Truppe getrennt, weil West, der bis dahin am Steuer gesessen hatte, eine Pause einlegen musste. Er hielt am Straßenrand und bat Bruce, das Steuer zu übernehmen.
Bruce hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet, weil er zu jener Zeit alles andere als ein versierter Autofahrer war. Seit dem relativ disharmonischen Ende seiner ersten Fahrstunde mit Doug hatte er kaum noch hinterm Steuer gesessen. »Ich hatte quasi einen Versuch, dann hieß es, du kannst es nicht, mit dir hat es keinen Zweck.« Die wenige Erfahrung, die er in den paar Stunden gesammelt hatte, in denen er mit Pam Brackens Automatik-Limousine über den Parkplatz der Challenger-Surfbrettfabrik gekurvt war, half ihm bei Wests altem Pickup mit der hakeligen Schaltung nicht viel weiter.
»Ich musste ihm alles erklären: ›Tritt das Kupplungspedal. Bewege den Schalthebel hierüber und nimm dann langsam den Fuß vom Pedal‹«, erinnert sich West. »Die Schaltung schleifte hörbar und wir ruckelten los über den Highway, aber letztendlich bekam er den Wagen ans Laufen, und solange er nicht anhalten musste, war alles in Ordnung.«
Am 30. Dezember trafen Bruce und West kurz nach den anderen in Esalen ein. Sie stellten ihr Gepäck im Haupthaus ab und machten sich sogleich auf zur Kunstscheune, wo sie sich die nächsten Stunden den Straßenstaub von Fingern und
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