Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
ungeheure, völlig unangebrachte Brutalität der Polizei, erschütterten ihn sehr. »Diese ganze Politik bei Steel Mill«, sagte er einige Tage später zu Tom Cohen und meinte die vielen Songs, in denen er für die Beendigung des Krieges plädiert und dazu aufgerufen hatte, sich gegen Autoritäten aufzulehnen und die Welt zu verändern. »Wir reden ständig über Revolution, aber niemand interessiert sich wirklich dafür. Niemand unternimmt irgendwas. Sie wollen alle nur darüber reden.« Der nächste gesellschaftskritische Song, den Springsteen schrieb – vermutlich mit Unterstützung von Robbin Thompson – hieß »Change It«, und diesmal war der Schrei nach einer sozialen Revolution durchsetzt mit bitterem Sarkasmus.
»Everybody’s saying their favorite sayings, everybody’s singing their favorite songs«, heißt es zu Beginn der Nummer. »Everybody’s got a favorite game they’re playing, well, ha, we’re all right, but I guess we’re all wrong.« Im weiteren Verlauf steigert sich der Text zu beißendem Spott: »So take LSD and off the pigs … Break out the guns and the ammo, everything’s gonna be just fine … all you gotta do is hang around.«
Bruce’ Begeisterung für Agitprop-Texte war verflogen. Es war an der Zeit, sich wieder auf Steel Mills Stärken und Schwächen und auf die Zukunft zu konzentrieren. Im Herbst begann Bruce parallel zu den Konzerten mit der Band auch wieder solo aufzutreten. Seine Einnahmen flossen zwar in die Bandkasse, doch gedanklich orientierte er sich bereits in eine ganz andere Richtung.
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1 Bruce erzählt oft davon, wie er seinen Vater des Morgens dabei beobachtete, wie er seinen Wagen in Gang setzte. Bei dem Auto ließ sich der Rückwärtsgang nicht mehr einlegen, sodass es, wenn es in der Einfahrt stand, zunächst auf die Straße geschoben werden musste, bevor man damit irgendwohin fahren konnte.
2 Obschon er bestimmte Melodien, Akkordfolgen und Textzeilen später in anderen Songs durchaus wieder aufgrif.
3 Lofgren spielte kurzzeitig auch mit Crazy Horse in der Besetzung ohne Neil Young und war sowohl bei den Sessions zu Youngs Tonight’s the Night als auch auf der nachfolgenden Tour mit dabei.
Kapitel 6
AUS PERSÖNLICHEN GRÜNDEN IST DIES MEIN LETZTER SONG
Nach dem Clearwater-Desaster traten Bruce und Steel Mill fast einen Monat lang nicht auf. Diese Bühnenpause war ebenso Lopez’ Stippvisite im Gefängnis von Richmond geschuldet wie auch Steel Mills beschädigtem Equipment und den physischen wie psychischen Blessuren der Band. Anfang Oktober beendeten sie ihre Klausur in der Surfbrettfabrik für einen eher durchwachsenen Auftritt im Vorprogramm der Ike and Tina Turner Revue in Richmond. Das Positive daran war, dass sie bei dieser Show endlich wieder mit Lopez vereint waren, der gerade aus der Haft entlassen worden war; allein dafür hatte sich die Reise gelohnt.
Wenige Tage später waren Steel Mill wieder an der Küste und gaben ein ausverkauftes Konzert in der Sporthalle des Monmouth College. Gegen Ende des Sets wäre Danny Federici um ein Haar den Cops in die Hände gefallen. Glücklicherweise unterschätzten diese den Einfallsreichtum der Band, wenn es darum ging, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Lopez erinnert sich: »Bruce brachte alle [die vorne im Publikum standen] dazu, auf die Bühne zu kommen. Dann setzte sich ein befreundeter Musiker aus Asbury Park, David Sancious, an die Hammondorgel, und Danny verdünnisierte sich.« Das Phantom hatte wieder einmal zugeschlagen. Ende Oktober gab die Band einige weitere Konzerte in Richmond, bevor sie einen Monat aussetzte, um am 25. November als Headliner bei einer Show im Newark State College zu spielen. Zwei Tage später standen Steel Mill als Anheizer für Black Sabbath und Cactus im Sunshine In, einer neuen Location in Asbury Park, auf der Bühne.
Bandneuling Robbin Thompson wunderte sich zunächst über die langen Pausen zwischen den einzelnen Gigs. Aber die Konzerte, die sie gaben, lockten in der Regel mehr Menschen an, als andere Bands aus der Region, die jeden Abend in Nachtclubs auftraten, während der ganzen Woche zu Gesicht bekamen. Die Show im Monmouth College hatten viertausend Fans gesehen, von denen viele sogar zwei oder mehr Stunden im strömenden Regen ausgeharrt hatten, um so nah wie möglich an der Bühne zu stehen. Thompson staunte nicht schlecht, als er das dicke Bündel Dollarscheine erblickte, das nach der Show auf sie wartete. »Wir hatten über dreitausend
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