Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Dollar eingenommen«, sagt er. »Und dann ging es tatsächlich: ›Zehn für dich, zehn für dich, zehn für mich, zehn für dich …‹ Ich bekam insgesamt fünfhundert Dollar und war völlig von den Socken. So viel Geld hatte ich noch nie mit einer Band verdient. Der Haken an der Sache war nur, dass wir danach voraussichtlich einen Monat lang nicht mehr auftreten würden.«
Die Thanksgiving-Gigs Ende November waren tatsächlich die letzten Shows der Band für 1970 . Kurz darauf reiste Bruce nach Kalifornien, um Weihnachten bei seinen Eltern und seiner Schwester in San Mateo zu sein. Dort kümmerte er sich liebevoll um Pam, ließ sich von Adele mit Pasta und Brathähnchen verwöhnen und leistete Doug bei seinen allabendlichen Küchensitzungen Gesellschaft.
Fernab der bekannten Gesichter und Sounds sehnten sich Bruce’ rockgewohnte Ohren nach neuen Klängen. Er hörte sich durch die Radiosender der South Bay und fand großen Gefallen an Van Morrisons His Band and the Street Choir und an Joe Cockers Livealbum Mad Dogs & Englishmen, das aufgenommen worden war, als der englische Sänger mit seiner einundzwanzigköpfigen Band im vergangenen Winter und Frühjahr durch die USA getourt war. Obschon man die beiden Musiker nicht miteinander vergleichen konnte – Morrison spielte anspruchsvolle, spirituelle Soulmusik, während Cocker chaotischen Gospel-Soul machte –, hatten beide ähnliche musikalische Vorstellungen und bereicherten ihre Songs mit Bläsern, Gospelsängern und zahlreichen Solisten. Vor allem aber widmeten sie sich ihrer Musik mit dem Sendungsbewusstsein eines evangelikalen Predigers: Sie verschrieben sich ihr mit Haut und Haaren, in der Überzeugung, dass ihre Glaubwürdigkeit ihnen einen direkten Weg in den Himmel bahne. Nach all dem Hardrock von Steel Mill, all den agitatorischen Texten und dem Gitarren-Bass-Schlagzeug-Orgel-Sound öffneten diese beiden Platten Bruce die Augen für völlig neue Möglichkeiten.
Der Swing des klassischen Rhythm and Blues; James Browns rhythmischer Funk; die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten eines größeren Line-ups, Sound- und Ideenpools: In Asbury Park gab es jede Menge Musiker, die man an einem solchen Projekt beteiligen konnte, selbstverständlich auch die Jungs von Steel Mill. Doch Bruce war von dem Geist der Veränderung so durchdrungen, dass er sich nur schwer vorstellen konnte, unter dem alten Namen Steel Mill eine ganz neue Band auf die Beine zu stellen. Und so hatte das Jahr 71 noch gar nicht richtig begonnen, als er bereits eine Entscheidung gefällt hatte: Das Kapitel Steel Mill war beendet.
Zwei, drei Tage nach seiner Rückkehr nach New Jersey teilte Bruce den anderen seinen Entschluss mit. Er fand Lopez und Federici in ihren Zimmern in der Surfbrettfabrik und erklärte ihnen ohne Umschweife, dass es mit Steel Mill vorbei war. Lopez erinnert sich, dass ihn Bruce’ plötzliche, einsame Entscheidung »überraschte und erschütterte«, doch bevor er irgendetwas entgegnen konnte, habe Bruce ihm erklärt, dass er sich keine Sorgen zu machen brauche. »Er sagte: ›Ich werde eine neue Richtung einschlagen und möchte, dass du als Drummer mit dabei bist‹«, so Lopez. Federici erhielt kein derartiges Angebot; zuseinem großen Bedauern sollte er in den nächsten zwei Jahren nicht mehr in einer von Bruce Springsteen geführten Band spielen. Thompson, der seine Kollegen von Mercy Flight nur wenige Monate zuvor sitzen gelassen hatte, um bei Steel Mill einzusteigen, war ebenfalls alles andere als erfreut, doch nicht allzu überrascht. »Es war nicht so, dass die Luft raus gewesen wäre«, sagt er. Aber er hatte es kommen sehen, seit die Leute von den Plattenfirmen nach dem Konzert in Nashville Springsteen belagert hatten.
Am härtesten traf es Tinker West, der eine Menge Geld in Steel Mill gesteckt hatte. »Ich dachte: ›Wir haben das Ganze zweieinhalb Jahre durchgezogen und jetzt sind wir endlich an einem Punkt angekommen, wo uns die Leute Angebote machen. Es läuft alles genau so, wie es sollte‹«, erinnert er sich. »Wir machten damals vier- oder fünftausend Dollar pro Show. Aber dann sagte ich mir: ›Na gut, ich kann mein Geld jederzeit auch anders verdienen.‹ Springsteen war sagenhaft talentiert, und jetzt wollte er unbedingt Songs für eine zehnköpfige Band schreiben. Was zum Teufel sollte man da tun? Eine Szene machte ich ihm jedenfalls nicht.«
Steel Mill mussten am 18. Januar noch einen bereits vor längerer Zeit geplanten Gig im D’Scene in
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