Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
nach zu urteilen, auf sie einen weit weniger furchteinflößenden Eindruck als die Person, für die sie ihn im ersten Augenblick gehalten hatten. Iveta wich zurück, bis ihre Schultern die Bretter der Schuppenwand berührten. Joscelin stand breitbeinig und beschützend vor ihr am Trockengestell, Beide hatten ihre Fassung rasch wiedergewonnen, aber ihre Beherztheit bestand zu mehr aus der Hälfte aus Verzweiflung.
»Ich bitte vielmals um Vergebung«, sagte Cadfael ruhig. »Ich hatte keine Ahnung, daß hier Patienten auf mich warten. Ich nehme an, der Bruder Krankenpfleger hat Euch hergeschickt.
Er weiß ja, daß ich bis zur Komplet hier zu tun habe.«
Er hätte wohl ebensogut walisisch sprechen können, aber mit etwas Glück würden sie den Weg, den er ihnen zeigte, wohl sehen. Es kam ja vor, daß in scheinbar ausweglosen Situationen schlummernde Geistesgaben geweckt wurden. Und im Gegensatz zu ihnen hatte er vom Garten her das Rascheln eines Gewandes und die schnellen, gereizten Schritte einer Frau vernommen, die auf den Schuppen zukam. Cadfael stand am Trockengestell und schlug mit einem Feuerstein Funken, um sein Öllämpchen zu entzünden, als Agnes Picards hagere, furchteinflößende Gestalt in der Tür erschien. Sie hatte die Brauen zusammengezogen, so daß sie ihr Gesicht wie eine gerade Linie teilten.
Bruder Cadfael, der den Lampendocht entzündet und zurechtgestutzt hatte, füllte nun die Pastillen, die Bruder Oswin zum Trocknen ausgelegt hatte - sie bestanden aus pulverisierten Kräutern und Harz und halfen gegen Blähungen - , in ein Kästchen. Das erlaubte es ihm, seinen Rücken der Frau zuzukehren, die in der Tür stand, wenngleich ihr Erscheinen ihm keineswegs entgangen war. Da die beiden jungen Leute offensichtlich nicht imstande waren, ein vernünftiges Wort herauszubringen, fuhr er fort, für sie alle zu sprechen.
»Wahrscheinlich sind die Kopfschmerzen eine Folge der Strapazen der Reise«, sagte er beruhigend und legte den Deckel auf das Kästchen mit den Pastillen. »Es war klug von Euch, damit zu Bruder Edmund zu gehen - Kopfschmerzen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn sie können Euch den nötigen Schlaf rauben. Aber ich habe ein gutes Mittel dagegen - der junge Herr hat sicher nichts dagegen, etwas warten zu müssen, bevor ich mich um die Wünsche seines Herrn kümmere...«
Joscelin, der sich endlich gefangen hatte und der drohenden Gestalt, die in der Tür stand, entschlossen den Rücken zukehrte, sagte eifrig, er werde mit dem größten Vergnügen warten, bis Lady Iveta alles erhalten habe, was sie brauche.
Cadfael nahm eine kleine Schale von einem Bord und griff nach einer der Flaschen, die in einer Reihe in seinem Schrank standen. Er wollte gerade einschenken, als hinter ihm eine Stimme, so kalt und schneidend wie eine scharfe Klinge »Iveta!« rief.
Alle drei fuhren mit gut gespieltem unschuldigem Erstaunen herum. Mit mißtrauisch zusammengekniffenen Augen trat Agnes in das Gartenhaus.
»Was machst du hier? Ich habe dich überall gesucht. Wir warten mit dem Essen auf dich.«
»Eure Nichte, Mylady«, sagte Cadfael, um möglichen unbedachten Äußerungen des Mädchens zuvorzukommen, »leidet infolge der Anstrengungen der Reise an Kopfschmerzen, und der Bruder Krankenpfleger empfahl ihr, sich an mich zu wenden.« Er reichte das Schälchen Iveta, die es entgegennahm, als sei dies alles ein Traum. Sie war bleich und gefaßt - nur die Augen verrieten ihre Angst und Verzweiflung. »Trinkt es jetzt gleich, bevor Ihr etwas eßt. Nur zu - es wird Euch gut tun.«
Und das war die reine Wahrheit, ob sie nun Kopfschmerzen hatte oder nicht. Cadfael hatte ihr etwas von seinem besten Wein gegeben, den er, da er jedes Jahr nur wenig davon kelterte, für besondere Gelegenheiten aufbewahrte. Zufrieden bemerkte er das leise Erstaunen und die Andeutung eines Lächelns in ihren traurigen Augen, wenn auch beides im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden war. Sie reichte ihm die Schale zurück und neigte kaum wahrnehmbar den Kopf. Joscelin anzusehen, wagte sie nicht.
Mit leiser Stimme sagte sie: »Ich danke Euch, Bruder. Ihr seid sehr freundlich.« Dann wandte sie sich der dunklen Gestalt zu, die sie nicht aus den Augen ließ und fuhr fort: »Es tut mir leid, daß ich Euch aufgehalten habe, Tante. Ich bin jetzt fertig.«
Agnes Picard sagte kein Wort. Sie trat lediglich kühl einen Schritt beiseite - eine stumme Aufforderung an Iveta, ihr vorauszugehen - und betrachtete ihre
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