Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
führte Cadfael durch das dichte, niedrige Gebüsch. Dunkel und still lag der Fluß nur ein paar Meter weiter zu ihrer Linken. Nur ein gelegentliches silbriges Glänzen verriet die Stellen, an denen sich Untiefen befanden.
»Ich bin’s – Ganymed! Ich habe einen Freund mitgebracht.«
Im trüben Zwielicht unter den Büschen regte sich eine dunkle Gestalt. Als sie sich aufrichtete, war das bleiche Oval eines Gesichtes und ein Schopf zerzauster, hellblonder Haare zu erkennen. Mit einer Hand stützte sich der Unbekannte auf dem Boden auf. Eine junge, gedämpfte Stimme sagte: »Das ist gut!
Freunde kann ich brauchen...« Cadfael kniete neben ihm nieder und bot ihm seine Schulter als Stütze dar. »Bevor wir dich von hier wegbringen, muß ich wissen, wo du verletzt bist.
Gebrochen ist anscheinend nichts.« Geschickt tasteten seine Hände den jungen Mann ab. Er brummte zufrieden.
»Es sind nur Fleischwunden«, murmelte der Junge und sog zischend die Luft ein, als Cadfael eine offene Stelle berührte.
»Sie sind meiner Blutspur gefolgt, aber ich bin in den Fluß gesprungen... Fast wäre ich ertrunken... Sie glauben sicher, daß ich tot bin...« Als er merkte, daß der Mönch Erfahrung in der Behandlung von Verletzungen hatte, ließ er sich zurücksinken.
»Essen und Wein werden dich wieder zu Kräften bringen.
Kannst du aufstehen und gehen?«
»Ja«, sagte der Jüngling, brach aber gleich beim ersten Versuch wieder zusammen.
»Nein, laß gut sein, ich werde dich tragen. Leg deine Arme um meinen Hals.«
Er war groß, aber nicht sehr schwer. Cadfael beugte sich vor und nahm die schlanken, muskulösen Oberschenkel des Verwundeten in die Hände. Seine Kleider strömten immer noch den muffigen Geruch von Feuchtigkeit aus. »Ich bin zu schwer für Euch«, wandte er ein. »Ich könnte genausogut laufen...«
»Spar dir deine Kraft. Du wirst tun, was man dir sagt. Godric, du gehst vor und siehst nach, ob die Luft rein ist.«
Es war nicht weit bis zur Mühle. Ihr Umriß hob sich schwarz gegen den Abendhimmel ab. Das große, unterschlägige Rad wies hier und da einige Lücken auf. Godith schob die angelehnte Tür auf und ertastete sich vorsichtig den Weg durch den dunklen Innenraum. Durch kleine Spalten zwischen den Bohlen konnte sie das Glitzern des Flusses unter sich sehen.
»Irgendwo hier an der Wand muß ein Stapel leerer Säcke liegen«, sagte Cadfael schnaufend hinter ihr. »Vielleicht kannst du sie finden.« Godith tastete sich in eine Ecke vor, breitete dort einige Säcke zu einer dicken, bequemen Matratze aus und faltete zwei zu einem Kissen. »Jetzt nimm deinen langbeinigen Findling unter den Armen und hilf mir, ihn hinzulegen... So. - Ein bequemes Bett hast du da, mindestens so gut wie das in meiner Zelle! Schließ die Tür, bevor ich Licht mache, damit ich ihn mir ansehen kann.«
Er hatte eine Kerze mitgebracht, die er entzündete und auf einen alten Mühlstein stellte. »Nun laß dich einmal ansehen.«
Der Jüngling lehnte sich zurück und seufzte tief. Nur zu gerne ließ er sich die Verantwortung für sich selber abnehmen. Seine munteren, hellen Augen, deren Farbe bei dieser Beleuchtung nicht zu erkennen war, blickten sie aus einem schmutzigen, erschöpften Gesicht an. Er hatte einen breiten Mund mit sanft geschwungenen Lippen, um die ein leichtes Lächeln spielte, und hellblonde Haare. »Einer hat dich an der Schulter erwischt«, sagte Cadfael, der dabei war, ihm die dunkle Jacke auszuziehen. Der eine Ärmel war mit getrocknetem Blut verkrustet. »Jetzt das Hemd. Bevor du diese Herberge wieder verläßt, wirst du neue Kleider brauchen, mein Freund.«
»Ich habe kein Geld, um Euch zu bezahlen«, sagte der Junge und grinste tapfer. Das Grinsen erstarb in einem schmerzhaften Stöhnen, als Cadfael den Hemdärmel von der Wunde löste.
»Unsere Dienste sind nicht teuer. Du kannst sie bezahlen, indem du uns die Wahrheit über dich erzählst. Godric, hol mir etwas Wasser aus dem Fluß.«
In einem Winkel fand sie einen alten Krug, den irgend jemand dort hingeworfen hatte, nachdem der Henkel abgebrochen war.
Sie säuberte ihn, so gut es ging, mit einem Zipfel ihres Kittels und ging, um Wasser zu holen. Das Wasser des Flusses war frischer als das des Mühlkanals, und es würde mehr Zeit in Anspruch nehmen, es von dort zu holen. Cadfael hatte genug Zeit, dem Jungen seine Schuhe und seine Hose auszuziehen und die mitgebrachte Decke über ihn zu breiten. Am rechten Oberschenkel hatte er eine lange, aber nicht
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