Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
Bach durchwaten und sich im nahegelegenen Wald verstecken können, aber sie konnte unmöglich das dicke Bündel tragen - es war viel zu schwer für sie. Sie hatte alle Spuren ihrer Anwesenheit beseitigt und sich mit dem Schatz im Boot davongemacht. Cadfael war sicher, daß sie nicht bis zur Einmündung des Baches in den Fluß gefahren war, sonst hätte man sie schon gefangengenommen. Aber wo immer sie auch war, sie brauchte seine Hilfe.
Und dann war da noch Torold, in der verlassenen Mühle, auf der anderen Seite der abgeernteten Felder. Hatte er die Zeichen rechtzeitig zu deuten gewußt und sich in den Wald geschlagen? Cadfael hoffte es von ganzem Herzen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten und nichts Auffälliges zu unternehmen. Aber wenn diese Prüfung vorbei war und er nach Einbruch der Dunkelheit herausfinden konnte, wo die beiden steckten, dann mußten sie sich unbedingt noch in derselben Nacht auf den Weg nach Westen machen. Dafür war dann die günstigste Gelegenheit: Die ganze Gegend war bereits abgesucht, die Soldaten waren müde und froh, nicht mehr Wache schieben zu müssen, in der Stadt würde man sich nur um die eigenen Sorgen kümmern und Vergleiche anstellen, wieviel bei anderen beschlagnahmt worden war, und die Klosterbrüder würden mit inbrünstigen Dankgebeten für das Ende dieser schweren Prüfung beschäftigt sein.
Rechtzeitig zum Hochamt ging Cadfael auf den Klosterhof.
Säcke wurden aus den Scheunen getragen und auf Fuhrwerke der Armee geladen. In den Ställen machten sich die flämischen Söldner zu schaffen. Verzweifelte Reisende, die mit guten Pferden unterwegs waren, versuchten mit erregten Worten, ihre Tiere vor der Requirierung zu bewahren. Aber es nützte ihnen nichts, es sei denn, sie konnten beweisen, daß sie bereits in den Diensten des Königs standen. Nur die ältesten Klepper ließ man in den Ställen stehen. Auch ein Fuhrwerk des Klosters wurde, zusammen mit den beiden Zugochsen, beschlagnahmt und mit Weizen beladen.
Cadfael bemerkte, daß sich am Tor etwas Merkwürdiges tat.
Die großen Torflügel waren verriegelt und bewacht, aber irgend jemand klopfte beharrlich an die kleine Tür und bat um Einlaß.
Da es sich um einen der eigenen Leute handeln konnte, einem Kurier etwa, der vom königlichen Lager oder von St. Giles geschickt worden war, öffnete der flämische Wachsoldat die Tür. Aline Siward trat hindurch. Sie hielt ihr Gebetsbuch in der Hand und hatte ihr blondes Haar mit der weißen Trauerkappe bedeckt, wie es sich für sie geziemte.
»Ich habe die Erlaubnis, in die Kirche zu gehen«, sagte sie mit lieblicher Stimme. Als sie sah, daß die Wachtposten kaum Englisch verstanden, wiederholte sie den Satz auf Französisch.
Die Soldaten wollten sie nicht durchlassen und waren gerade dabei, die Tür wieder zu schließen, als einer der Offiziere es bemerkte und eilig herbeikam.
»Messire Courcelle hat mir erlaubt, zur Messe zu gehen«, wiederholte Aline geduldig. »Mein Name ist Aline Siward. Wenn Ihr Zweifel an meinen Worten habt, fragt ihn selbst.«
Es schien, als habe Courcelle ihr tatsächlich diese Erlaubnis erteilt, denn der Offizier gab einen Befehl, die Soldaten traten zurück und ließen sie passieren. Sie schritt durch das Durcheinander auf dem Hof, als sei gar nichts Außergewöhnliches geschehen und ging auf das Südportal der Kirche zu. Als sie sah, daß Bruder Cadfael sich einen Weg durch die hin-und herlaufenden Soldaten und die erregt protestierenden Reisenden bahnte, verlangsamte sie jedoch ihre Schritte, so daß sie sich wie zufällig vor der Kirche trafen.
Sie blieb stehen und begrüßte ihn ehrerbietig. Dann, als sie nahe genug beieinanderstanden, sagte sie leise: »Seid unbesorgt, Godric ist sicher in meinem Hause.«
Cadfael seufzte erleichtert. »Gottes Segen über Euch!« antwortete er ebenso leise. »Wenn es dunkel ist, komme ich und hole sie ab.« Und obwohl sie Godith bei ihrem Jungennamen genannt hatte, erkannte er an ihrem kleinen, verschwörerischen Lächeln, daß das Wort, das er gebraucht hatte, sie nicht überrascht hatte. »Das Boot?« flüsterte er fast unhörbar.
»Auf dem Mühlteich, am Ende meines Gartens.« Sie ging an ihm vorbei in die Kirche, und Cadfael, dem eine Zentnerlast vom Herzen gefallen war, nahm mit geziemender Andacht seinen Platz beim Einzug der Mönche ein.
Torold saß in der Astgabelung eines Baumes am Rande des Waldes, der östlich von Shrewsbury lag, und verzehrte das restliche Brot und einige
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