Bruder Cadfael und ein Leichnam zuviel
doch deutlich im Gesicht.
»Komm herein! Warte, ich helfe dir damit, was immer es auch sein mag. So, Constance, schließ die Tür!« Sie waren jetzt im Inneren des Hauses, in Sicherheit. Die Sonne schien hell und warm durch ein offenes, nach Osten gehendes Fenster.
Sie standen sich gegenüber und musterten einander: Aline sehr weiblich, in einem blauen Kleid, ihr Gesicht eingerahmt von blonden Locken – Godith in einem viel zu weiten Kittel und einer schlecht sitzenden Hose, das kurze Haar ganz zerzaust, das Gesicht mit Erde und Tränen verschmiert.
»Ich bin auf der Suche nach einem Versteck«, sagte Godith einfach. »Die Soldaten des Königs suchen mich. Auf mich ist ein hoher Preis ausgesetzt. Ich heiße nicht Godric, sondern Godith. Ich bin Godith Adeney, die Tochter von Fulke Adeney.«
Überrascht und beeindruckt von solcher Offenheit betrachtete Aline das fein geschnittene, ovale Gesicht und die zarte Gestalt des Mädchens, das vor ihr stand, noch einmal genauer. Als sie Godith’ entschlossenen Gesichtsausdruck sah, bekamen ihre Augen einen warmen Glanz.
»Es ist besser, Ihr kommt hier herein«, sagte sie und warf einen Blick auf das offene Fenster. »Das ist mein Schlafzimmer, es liegt nach hinten hinaus. Niemand wird Euch hier belästigen - wir können ungestört miteinander reden. Ja, bringt Euer Bündel mit. Wartet, ich werde Euch helfen.« Zusammen trugen sie FitzAlans Schatz in das Schlafzimmer, in das sich nicht einmal Courcelle und ganz gewiß kein anderer Mann wagen würde.
Sehr leise schloß Aline die Tür. Godith ließ sich auf einen Schemel neben dem Bett sinken. Mit einem Male fühlte sie sich unendlich schwach; die ganze Anstrengung machte sich jetzt bemerkbar. Erschöpft lehnte sie den Kopf an die Wand und sah zu Aline auf.
»Es ist Euch doch bekannt, daß ich eine Feindin des Königs bin? Ich will Euch nicht hintergehen. Es könnte sein, daß Ihr es für Eure Pflicht haltet, mich anzuzeigen.«
»Ihr seid sehr ehrlich«, sagte Aline, »und ich fühle mich keineswegs hintergangen. Ich weiß nicht, ob der König es mir danken würde, wenn ich Euch anzeigte, aber ich würde es mir gewiß nicht verzeihen – und Gott auch nicht. Ihr könnt ganz beruhigt sein. Constance und ich werden dafür sorgen, daß Euch niemand findet.«
Während der Prim und der ersten Messe hatte Bruder Cadfael ein unbeteiligtes Gesicht aufgesetzt. Innerlich aber verfluchte er sich für seine unerklärliche Nachlässigkeit, die ihn hatte schlafen lassen, während die Gegenseite zum Schlag ausholte.
Die Tore waren geschlossen, es gab keine Möglichkeit, aus dem Kloster hinauszukommen. Und wenn ihm dieser Weg verschlossen war, dann ganz gewiß auch Godith. Er hatte keine Soldaten auf der anderen Seite des Baches gesehen, aber mit Sicherheit würden sie die Flußufer beobachten. Godith hatte das Boot genommen, aber wohin war sie damit geflohen? Nicht stromaufwärts jedenfalls, denn der Bach war ein ganzes Stück weit von allen Seiten einzusehen, und noch weiter oben war sein Bett zu seicht und steinig, als daß man ihn mit einem Boot hätte befahren können. Er rechnete jeden Moment mit dem Ruf, der ihre Gefangennahme anzeigte, und jede Minute, die verstrich, brachte ihm Erleichterung. Sie war nicht auf den Kopf gefallen, und anscheinend war ihr die Flucht mit dem Schatz, den sie retten und seinem rechtmäßigen Besitzer übermitteln wollten, gelungen. Mochte der Himmel wissen, wo sie sich versteckte!
Bei der Versammlung im Kapitelsaal hielt Abt Heribert eine kurze, resignierte Ansprache, in der er den Grund für das Eindringen der Soldaten erklärte und die Klosterbrüder dazu anhielt, die Befehle der Offiziere mit Würde und Gelassenheit zu befolgen. Ansonsten sollten sie, soweit man es ihnen gestattete, ihren gewohnten Tagesablauf beibehalten. Sie, deren Streben auf eine andere Welt gerichtet war, sollten es als eine willkommene Buße ansehen, wenn man ihnen die Güter dieser Welt fortnahm. Zumindest Bruder Cadfael jedoch brauchte sich über die Früchte seiner Arbeit keine Sorgen zu machen; der König war sicher nicht an einem Zehnten der Kräuter und Arzneien interessiert, obwohl ihm einige Flaschen Wein sicher willkommen gewesen wären. Der Abt entließ die Mönche mit der Ermahnung, bis zum Hochamt um zehn Uhr ruhig ihrer Arbeit nachzugehen.
Cadfael ging in den Garten und erledigte kleinere Arbeiten, aber seine Gedanken waren mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Godith hätte im Tageslicht ohne weiteres den
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