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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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den Ringen…«
    »Hören Sie auf! Es war ein Handgemenge! Verstehen Sie? Aus Versehen! Und wir waren alle ein bisschen betrunken.«
    »Wenn Sie so weitermachen, werden Sie doch noch Prozesszeugin, allerdings für die Verteidigung.«
    »Wissen Sie, wofür er das Geld brauchte?«
    »Keine Ahnung, goldenen Schwanzschmuck?«
    »Mann, sind Sie eklig! Für eine Romafamilie in Praunheim. Er will eine Fotodokumentation über ihren Alltag machen. Furchtbar arme Leute, keinerlei soziale Unterstützung, nicht mal ’ne Krankenversicherung, einfach nichts, bei fünf Kindern – und da wird immer geschimpft über die Bettler, aber was bleibt ihnen denn übrig? Und wissen Sie das Ungeheuerlichste? Die Großeltern sind im KZ ermordet worden. Das ist Deutschland! Ich weiß, wovon ich rede. Meine Familie ist zwar relativ wohlhabend, aber gucken Sie sich meine Hautfarbe an, mein Vater ist Schwarzer, für die hier bin ich doch auch nur irgend so was Zigeuneriges, Fremdes! Und das ist es, was Erden am Ende mit seinen Fotodokumentationen erreichen will: dass sich alle Fremden, Andersfarbigen, Andersessenden, Andersgläubigen, Ausgestoßenen zusammentun und eine Bewegung und später eine Partei bilden: Die Fremdenpartei! Wäre das nicht großartig? Ich meine, Sie sind doch auch Italiener oder so was. Magelli, nicht wahr?«
    »Wie heißt die Familie?«
    »Bitte?«
    »Der Name der Romafamilie in Praunheim. Eine Familie mit fünf Kindern ohne Krankenversicherung – das geht natürlich nicht. Ich rufe nachher beim Sozialamt an, dass die denen so schnell wie möglich eine Versicherung einrichten.«
    Es entstand eine Pause, in der Marieke mich entgeistert anguckte.
    »Soll das jetzt wieder witzig sein? Machen Sie sich etwa lustig über die?«
    »Überhaupt nicht. Aber um ihnen helfen zu können, brauche ich den Namen oder die Adresse.«
    »Sie glauben doch wohl nicht, dass die nicht schon alles versucht haben?«
    »Dann hat sich irgendein Sozialarbeiter, wenn er ihnen die Versicherung verweigert hat, womöglich strafbar gemacht. Krankenversicherung ist in Deutschland Pflicht. Im Interesse und zum Schutz der Allgemeinheit. Stellen Sie sich vor, die Kinder brüten irgendeine gefährliche ansteckende Krankheit aus und werden nicht behandelt. Oder aber die Familie lebt hier illegal, dann würde ich einer Flüchtlingshilfsorganisation Bescheid geben, die sich mit solchen Fällen auskennt.«
    Marieke guckte immer noch, als wollte ich der Romafamilie ein Z in die Ausweise stempeln.
    »Oder existiert die Familie gar nicht? Ist sie vielleicht nur ein Sinnbild? Die Romafamilie in Praunheim mit im KZ ermordeten Vorfahren, die heute wie eh und je geschunden wird? Kann ich mir gut vorstellen so als Fotoroman.«
    »Wissen Sie was?«, sagte Marieke mit einem Mal sehr ruhig und bestimmt. »Ich mag Sie echt gar nicht. Bringen Sie mich jetzt bitte nach Hause.«
    Die nächsten fünf Minuten standen wir stumm nebeneinander. Marieke schaute betont ungerührt vor sich hin, während ich in beiden Straßenrichtungen nach einem Taxi Ausschau hielt. Dabei fiel mein Blick auf die schwarze Tafel vor dem Café Klaudia, auf der mit weißem Kreidestift das Tagesgericht angeschrieben stand: Schaschlikspieß mit Reis und roter Paprika.
    Ein Schaschlikspieß, dachte ich, hinterlässt einen schmalen Stich.
    Ich wollte Marieke schon bitten, kurz zu warten, um den Kellner schnell zu fragen, ob am frühen Mittag beim Abräumen der Teller ein Spieß gefehlt habe, und wenn ja, ob er sich an den Gast erinnern könne, als ein Taxi um die Ecke bog. Ich verschob die Kellnerbefragung auf später, wenn ich mein Rad holen würde, und winkte dem Fahrer.
    »Wo wohnen Sie?«, fragte ich.
    »Am oberen Ende der Zeppelinallee«, antwortete Marieke und sah mich zum ersten Mal seit fünf Minuten wieder an. Wenn mich nicht alles täuschte, lag etwas Triumphierendes in ihrem Blick.
    »Na, das ist aber eine tolle Gegend. Vielleicht ein bisschen zu laut, zu aufregend, oder? Also, für mich wär’s nichts.«
    Sie verdrehte die Augen. Ich lachte und hielt ihr die Tür auf.
    5
     
    »Marieke!«
    Valerie de Chavannes rannte durch den Vorgarten, riss ihre Tochter in die Arme und mit sich in die Knie, drückte und küsste sie, Tränen liefen ihr übers Gesicht.
    »Marieke, mein Schatz! Mein allergrößter Schatz!«
    »Hallo, Mama«, sagte Marieke, erwiderte die Umarmung und ließ die Begrüßung ansonsten über sich ergehen.
    Ich stand an der Gartentür, betrachtete die Szene und bemühte mich um ein

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