Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
atmete tief durch, ehe sie so beherrscht wie möglich sagte: »Er hat keine Nummer mit mir abgezogen. Er hat’s versucht, aber für Sie, Herr Kayankaya, noch mal ganz deutlich: Es hat nicht funktioniert.« Und dann nahm sie sichtlich allen Mut zusammen und fragte: »Glauben Sie, Marieke hat mit ihm geschlafen?«
Ich zögerte, ihre Ernsthaftigkeit war ansteckend. Schließlich antwortete ich: »Keine Ahnung, aber ich denke nicht. Dafür kommt mir Marieke zu vernünftig vor. Vielleicht haben sie ein bisschen rumgeknutscht…«
…Kluge, anspruchsvolle Upperclass-Tochter, wenn der Ton stimmt, zu fast allem bereit…
»Sie haben keine Kinder, nicht wahr? Sie können nicht wissen, wie sehr ich hoffe, dass Sie sich nicht irren.«
»Ich kann’s mir vorstellen.«
»Was ist, wenn…«, sie hielt inne, legte sich die Worte zurecht, »…wenn Abakay nicht ins Gefängnis muss, angenommen, ein Anwalt boxt ihn raus, und wenn er dann noch mal hier auftaucht?«
Irgendwas sagte mir, dass die Frage nicht von ungefähr kam. Valerie de Chavannes hatte eine Idee, und nicht erst seit eben.
»Das glaube ich nicht. Und wenn doch – ich kann Ihnen nur meine Dienste anbieten, das Honorar kennen Sie ja.«
Auf Letzteres ging sie nicht ein. »Warum glauben Sie das nicht? Er hat die Villa gesehen und denkt natürlich, wir sind unermesslich reich. Und wie oft kommt so einer in die Nähe von Reichtum? Der versucht doch rauszuholen, was nur geht.«
»Na schön, aber das hat er ja nun schon. Hat sich an beide Damen des Hauses rangemacht, sich damit einmal eine Abfuhr und einmal eine blutige Nase geholt, was soll er jetzt noch anstellen? Er kann Ihren Briefkasten klauen. Wenn er Ihnen das wert ist, hol ich ihn für Sie zurück. Aber wie gesagt: Abakay geht ins Gefängnis, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
Für einen Augenblick guckte sie auf eine Art verzweifelt, als sei ich schwer von Begriff. Dann sah sie schnell nach links und rechts zu den Nachbargrundstücken, hinter sich zur offenen Haustür und hoch zu den Fenstern – alles leer –, trat zwei Schritte auf mich zu und flüsterte: »Und wenn er versucht, mich zu erpressen? Das geht auch aus dem Gefängnis heraus oder mittels irgendwelcher Kumpane.«
»Erpressen? Tja…« Ich kratzte mich mit einem Finger am Hals und fragte so neutral wie möglich: »Aber mit was könnte er Sie denn erpressen?«
»Was weiß ich? Da denkt er sich einfach was aus. Irgendwas bleibt immer hängen.«
»Nun, da gibt’s keine tausend Möglichkeiten. Entweder Sie haben irgendein Verbrechen begangen, im großen Stil Steuern hinterzogen oder so was, und dazu gibt es belastende E-Mails, Telefonmitschnitte…«
»Oder wie gesagt«, unterbrach sie mich, »er denkt sich irgendwas aus. Etwas, das stimmen könnte und den Ruf ruiniert, kennt man doch.«
»Hm. Zum Beispiel, dass er mit Ihnen eine Affäre hatte?«
»Zum Beispiel. Und dann muss ich beweisen, dass das nicht so war. Ist doch verrückt!«
»Ja, das wäre wohl verrückt.«
Wir sahen uns eine Weile an. Dann sagte ich: »Und was schlagen Sie mir nun vor?«
Sie schluckte, und ihr Blick bekam etwas Flehendes – um Verständnis, Hilfe, Erbarmen. Als sie langsam den Mund öffnete, zitterten ihre Lippen. »Sie haben eben gesagt, Abakay habe sich bei Ihnen eine blutige Nase geholt. Nun… Ich frage mich, wie weit würden Sie in dieser Richtung gehen…? Bei entsprechender Bezahlung natürlich. Ich meine – Sie haben selbst gesagt, Abakay ist ’ne fiese Type, und ich weiß, er ist ein Schwein…«
Ich war weniger verblüfft, als man vielleicht hätte annehmen können. Zum einen war es nicht das erste Mal, dass man mir ein solches Angebot machte, zum anderen hatte so was von Anfang an in der Luft gelegen. Valerie de Chavannes wollte, dass Abakay vom Erdboden verschwand.
»Wissen Sie, was er an dem Abend, als er hier war, zum Abschied gesagt hat, als wir kurz alleine im Flur standen? Dass ich nie mehr ruhig schlafen werde, solange er kein großes Stück von meinem Kuchen abbekommt. Und mit Kuchen meinte er natürlich das Haus und was ich seiner Vorstellung nach auf der Bank habe. Und zwei Wochen später ist meine Tochter verschwunden. Verstehen Sie? Selbst wenn er für zwei, drei Jahre ins Gefängnis kommt – was sind schon zwei, drei Jahre für einen, der glaubt, die Chance seines Lebens zu haben? Und wir sind schwache Leute, verweichlichte Kunstliebhaber, Bücherleser – gegen einen wie Abakay haben wir keine Chance. Was ist, wenn er morgen
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