Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
freundliches Wachtmeisterlächeln.
Nach einer Weile warf mir Valerie de Chavannes über die Schulter ihrer Tochter aus verheulten, glücklichen Augen einen fragenden Blick zu.
Ich tippte mir an die Stirn. »Magelli, Polizei Frankfurt.«
»Oh!« Valerie de Chavannes tat überrascht. »Polizei?«, fragte sie, ohne ihre Tochter aus den Armen zu lassen.
»Mama, ich…«
»Nichts Schlimmes«, unterbrach ich Marieke, »im Zuge der Ermittlung gegen einen Drogendealer haben wir Ihre Tochter in der Wohnung eines Kunden des Dealers angetroffen. Nach Aussage Ihrer Tochter handelt es sich um einen Bekannten. Da wir den Kunden als Zeugen mit aufs Revier nehmen mussten, schien es uns angebracht, Ihre Tochter nach Hause zu bringen.«
Marieke drehte den Kopf nach mir um und schaute verdutzt, im nächsten Augenblick fast dankbar.
Ihre Mutter sagte: »Drogen?« Und zu ihrer Tochter, die sie nach wie vor eng umschlungen hielt: »Mein Schatz, du nimmst doch keine Drogen?«
»Ach, Mama, das ist doch jetzt…« Marieke brach seufzend ab.
Ich sagte: »Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Ihre Tochter Drogen konsumiert. Mit dem Bekannten hatte sie wohl nur im Zusammenhang mit einem Fotoprojekt zu tun. ›Frankfurt bei Nacht‹ oder so was.«
Erneut drehte Marieke den Kopf in meine Richtung, diesmal allerdings, um mich so anzugucken, als könne sie mal wieder nicht fassen, was für ein primitives Arschloch ich war. Frankfurt bei Nacht! Falls es jemals zur Gründung der »Fremdenpartei« käme, würde ich von Marieke sehr wahrscheinlich keine Einladung zur Mitgliedschaft erhalten.
Sie befreite sich aus den Armen ihrer Mutter, erhob sich vom Gartenweg und griff nach ihrem Lederbeutel. »Ich geh mal rein, bin ziemlich müde. Ich erklär dir alles später. Ist Papa zurück?«
»Aber Schatz, Papa kommt doch erst nächste Woche wieder.«
»Ach ja, stimmt. Hast du ihm…« Marieke warf einen schnellen Seitenblick zu mir.
»Nein, ich hab ihm nichts erzählt.«
»Okay. Ich geh dann mal.« Aber dann wandte sie sich doch noch mal zu mir um, sah mich an, zögerte und sagte schließlich überraschend ernst und von Herzen: »Danke, Herr Magelli. Fürs Taxi, und auch sonst.«
Ich nickte. »Gern geschehen.«
Valerie de Chavannes und ich sahen Marieke nach, wie sie hinter der offenen Haustür im Flur verschwand. Dann stand auch Valerie de Chavannes auf, klopfte sich Staub von den weißen Seidenhosen und sah mir dabei angstvoll in die Augen.
Ich hob beschwichtigend die Hand und sagte leise: »Alles in Ordnung. Soweit ich es beurteilen kann, ging’s wirklich nur um Fotos. Wie ich vermutet hatte: bisschen Weltverändern, bisschen Kreativsein, bisschen Teetrinken. Und was Abakay angeht…«, ich senkte noch mal die Stimme, »…den sind Sie für eine Weile los. Vermutlich für eine sehr lange Weile.«
Valerie de Chavannes schloss erleichtert die Augen und fuhr sich mit der Hand massierend übers Gesicht. »O Gott! Vielen Dank – vielen, vielen Dank!«
Doch als sie die Hand wegnahm und die Augen wieder öffnete, war auch der angstvolle Blick wieder da. »Was verstehen Sie unter sehr lange?«
»Na, zwei, drei Jahre vielleicht. Ich bin kein Richter.«
»Das heißt, er muss ins Gefängnis?« Ihre Stimme kippte ein bisschen ins Hysterische – ob vor Freude oder dem Entsetzen, mit ihrem Leben in die Nähe gefängniswürdiger Kriminalität geraten zu sein, war nicht klar.
»Das nehme ich an. Aber ich würde Ihnen ungern die Umstände erläutern. Falls Abakay jemals eine Verbindung zwischen Ihnen und mir herstellt, ist es besser, denke ich, Sie wissen so wenig wie möglich von dem Dreck, den er am Stecken hat. Zu Ihrer Beruhigung: Seine strafbaren Taten haben nichts mit Marieke zu tun. Abakay ist ’ne fiese Type, aber mit Ihrer Tochter hat er wohl nur mehr oder weniger die gleiche Nummer abgezogen wie mit Ihnen: Frankfurt im Schatten der Bankentürme, soziale Ungerechtigkeit, blabla…«
Ich dachte an das mit Kotze beschmierte, zitternde Mädchen, das ich in Abakays Wohnung vorgefunden hatte, und fühlte mich nicht ganz wohl in meiner Haut.
Darum bekam ich die Veränderung in Valerie de Chavannes Gesichtsausdruck nicht gleich mit. Plötzlich wurde mir ihr entgeisterter, verletzter Blick bewusst. Als hätte ich sie schlimm beleidigt. Und dann verstand ich: Die gleiche Nummer wie mit Ihnen.
Und weil Die gleiche Nummer wie mit Ihnen eigentlich nur in einem Zusammenhang schwer wog, lag die nächste Frage auf der Hand. Valerie de Chavannes
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