Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
zu meinem Mann nach Den Haag fährt, ihm sonst welche Lügen erzählt, ihm vielleicht droht oder ihn einfach zusammenschlägt? Mein Mann würde ihm geben, was er verlangt. Aus Angst, und was könnte er auch anderes machen? Die Polizei rufen? Noch ist ja nichts passiert. Wie haben Sie heute Morgen gesagt? Mit sechzehn ist es Mariekes gutes Recht, mit einem Mann zusammenzusein. Und von wegen da läuft nichts mit Drogen! Und damit meine ich nicht ein bisschen Kiffen, weshalb geht er denn in den Knast? Erzählen Sie mir doch keine Märchen!«
Ich schaute zur Villa, ob sich etwas an den Fenstern tat. Valerie de Chavannes’ Stimme war in den letzten Minuten immer lauter geworden. Doch weder entdeckte ich Marieke noch die Haushälterin.
Valerie de Chavannes guckte nun nicht mehr flehend, sondern wie ein wildes Tier. Ein Muttertier, das sein Kind so blutig wie nötig verteidigen wollte. Und ich sollte mich gefälligst entscheiden: für sie oder gegen sie!
Möglichst ruhig sagte ich: »Ich erzähle Ihnen keine Märchen. Abakay geht nicht wegen Drogen ins Gefängnis, sondern – jedenfalls würde ich es so bauen, wenn ich der Staatsanwalt wäre – wegen Mord.«
Ich betonte das Wort »Mord« deutlich. Es gab vermutlich eine Menge Möglichkeiten, Abakay festzunageln: Mädchenhandel, Zuhälterei, sexueller Missbrauch, Entführung, Vergewaltigung, Drogen – vielleicht auch Mord, je nachdem, wie man die Szene im Eingangsflur interpretierte, aber das war mir im Moment egal. Ich wollte nur das Wort »Mord« aussprechen. Valerie de Chavannes sollte die genaue Bezeichnung für das, was sie mir vorschlug, hören. Von wegen Ich frage mich, wie weit würden Sie in dieser Richtung gehen…
»Der Mord wird ihm womöglich schwer nachzuweisen sein, aber wer weiß.«
»Mord…?« Offenbar erzielte ich den gewünschten Effekt. Valerie de Chavannes guckte, als hätte ihr jemand gerade kräftig in den Hintern getreten.
»Ja, so heißt das, wenn man einen totmacht, und sei’s noch so ein Schwein. Dafür geht man dann übrigens noch sehr viel länger als zwei, drei Jahre ins Gefängnis. Und wissen Sie was? Ich möchte da nicht mal fürs Wochenende rein.«
»Aber… aber wieso Abakay?« In ihrem Gesicht machte sich Entsetzen breit.
»Wie gesagt: Ich würde Ihnen ungern die Umstände erläutern. Versuchen Sie, Abakay zu vergessen, seien Sie froh, dass Sie Marieke wiederhaben, und vor allem: Fragen Sie nie wieder jemanden, ob er einen für Sie umlegt. Ab dem Moment hat er Sie, wenn er’s klug anpackt, nämlich ziemlich fest in der Hand. Und wie wär das, wenn nun statt Abakay ein kleiner schmieriger Privatdetektiv aus der Gutleutstraße seinen Teil vom Kuchen abhaben wollte?«
Sie schaute immer noch entsetzt, dann zunehmend verwirrt und verlegen, am Ende nur noch niedergeschlagen. Sie wandte den Blick ab, irgendwohin in die Blumensträucher. Nach einer Weile sagte sie: »Ich finde Sie weder klein noch schmierig.«
»Danke, aber das war nur ein Bild.«
»Und es tut mir leid. Ich denke, ich habe nicht wirklich erwartet, dass Sie auf meinen Vorschlag…«
»Schon gut.«
»Wenn’s nur um mich ginge, aber Marieke und Edgar…« Sie starrte weiter in die Sträucher. »Hatten Sie schon mal richtig Angst? Ich meine, nicht vor einer Waffe oder vorm Flugzeugfliegen oder so was, sondern anhaltende, ständige, tägliche Angst?«
Ich überlegte. »Ein Mal, als ich zu ahnen begann, dass ich einen schweren Fehler gemacht hatte. Vielleicht ist das die größte Angst: es selber zu vermasseln. Aber wenn ich Ihnen was sagen darf: Falls Marieke oder Ihrem Mann irgendwas passiert, ist das nicht Ihre Schuld. Typen wie Abakay trifft man im Leben – jedenfalls wenn man noch vor die Haustür geht –, und keiner ist so schnell oder so erfahren, da sofort wegzurennen. Da hat man einfach Pech.«
»Ich habe ihn zum Abendessen eingeladen.«
»Ja, Pech und vielleicht ein bisschen Blauäugigkeit, aber das hat nichts mit Schuld zu tun. Sie müssen nichts wiedergutmachen, verstehen Sie?«
»Ach, Herr Kayankaya…« Sie seufzte, wandte sich von den Blumensträuchern ab, und ihr Blick legte sich schwer auf mich. »Wissen Sie was? Ich würde Sie jetzt wahnsinnig gerne umarmen.«
»Aha.« Mir wurde ein bisschen schwindelig. »Tja… Aber ob Ihre Tochter das verstehen würde, wenn sie uns dabei zum Beispiel durchs Badezimmerfenster sähe?«
Ihr Blick blieb auf mir liegen, fordernd, einladend, ihre Brust hob und senkte sich im Rhythmus ihres kürzer werdenden
Weitere Kostenlose Bücher