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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Atems.
    Ich bemühte mich wieder um das freundliche Wachtmeisterlächeln und streckte ihr die Hand entgegen. »Belassen wir’s dabei, Frau de Chavannes. Ich schicke Ihnen in den nächsten Tagen die Rechnung, und falls Abakay wider Erwarten doch noch mal Schwierigkeiten machen sollte, rufen Sie mich an. Ansonsten: viel Glück.«
    »Herr Kayankaya…«
    Sie nahm meine Hand und drückte sie erst kräftig und wie zum Abschied entschlossen, ehe sie sie einfach nur weich und warm festhielt und mich dabei weiter ansah. Die Wärme ging in meinen Körper über und schnürte mir den Hals zu.
    Endlich zog ich meine Hand zurück und räusperte mich. »Sie können das ganz gut, hm?«
    Langsam ließ sie ihren Arm sinken. »Das hat nichts mit Können zu tun.« Und mit leicht entrücktem, zerbrechlichem Lächeln: »Das passiert einfach.«
    »Ach so…« Ich riss mich zusammen. »Na, wie gesagt: viel Glück.« Und als sie sich immer noch nicht rührte: »Gucken Sie mal…« Ich deutete zur Villa. »Ihre Tochter.«
    Valerie de Chavannes fuhr erschrocken herum, sah die leeren Fenster und die leere Haustür, drehte sich wieder zu mir und schaute erst verblüfft, dann empört.
    Ich zuckte mit den Achseln. »Hätte auch einfach passieren können. Da überlegt man sich dann besser, ob man etwas unbedingt passieren lassen muss.« Ich hob die Hand zum Gruß: »Schönen Tag noch«, wandte mich schnell ab, trat durch die Gartentür und ging die Zeppelinallee hinunter. Es war so still, dass ich ein, zwei Minuten später, als ich schon fast die nächste Straßenkreuzung erreicht hatte, hörte, wie die schwere Haustür bei de Chavannes ins Schloss fiel. Ich war heilfroh, Valerie de Chavannes nur die Hand gegeben zu haben.
    6
     
    An der Bockenheimer Warte setzte ich mich ins Café, bestellte einen doppelten Espresso und rief einen Bekannten bei der Polizei an.
    Octavian Tatarescu sah trotz seines Namens und der rumänischen Herkunft wie Hans-Jörg aus Kleindings aus, oder anders: Er sah aus, wie sich viele Leute in der Welt einen deutschen Polizisten vorstellten. Groß, kräftig, kurze blonde Haare, ein hartes, kantiges Kinn, wie gemacht, um den Riemen eines Einsatzhelms drunterzuschnallen, ernst und ein bisschen gnadenlos blickende blaue Augen, der Mund ein schmaler Strich zum Befehle-Zischen und die Wangen weich und dicklich vom täglichen Kartoffelgericht. Bei Auseinandersetzungen im Straßenverkehr beschimpften ihn Wildfremde immer mal wieder mit »Bulle«, auch wenn er weder im Dienstwagen unterwegs war noch in Uniform. Es war einfach das Schimpfwort, das einem bei Octavian als Erstes einfiel. Trotzdem setzten ihn seine Vorgesetzten gerne als Undercover ein, weil sie davon ausgingen, dass kein Krimineller die Polizei für so dusselig hielt, ausgerechnet einen in die Unterwelt einzuschleusen, der aussah, als hätte Himmler ihn für den Erhalt der öffentlichen Ordnung noch persönlich züchten lassen. Dass ein Krimineller sie für so clever hielt, genau das zu machen, davon gingen sie noch weniger aus.
    Und als Undercover hatte ich ihn vor zwölf Jahren auch kennengelernt. Damals arbeitete Deborah noch als Hure. Ich hatte ihr im Jahr zuvor geholfen, ihren Zuhälter loszuwerden, und einen Platz im ›Mister Happy‹ besorgt und war seitdem so was wie ihr Lieblingskunde. Octavian befand sich auf der Suche nach einem Zuhälterring, der Mädchen aus Weißrussland nach Deutschland schleuste, durchkämmte in der Rolle des leicht trotteligen Freiers die Frankfurter Bordellszene und kehrte darum eines Abends auch in den kleinen Puff am Mainufer ein. Dabei war das ›Mister Happy‹ wahrscheinlich der letzte Ort im Frankfurter Rotlichtmilieu, an dem illegale Minderjährige zur Sexarbeit gezwungen worden wären. Ich kannte Tugba, die Chefin, schon damals seit Jahren. Eine Frauen- oder besser Hurenrechtlerin, die selber als Hure gearbeitet und es landesweit zur Berühmtheit gebracht hatte, weil sie ihren Zuhälter und einen verhassten Kunden, der ihr vom Zuhälter immer wieder aufgenötigt worden war, mit vorgehaltener Pistole zum Miteinanderficken gezwungen hatte. Dabei schoss sie beiden, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, mehrmals in die Beine, anschließend rief sie die Polizei. Der Fall ging wochenlang durch die Presse. Tugba, Darmstädterin mit türkischen Eltern, kam wegen Notwehr und einem guten Anwalt mit Bewährung davon und kaufte mit Hilfe eines Investors und dem Geld, das sie für Interviews und eine eigene Fernsehdokushow –

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