Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
zu sehen, und es hätte ja sein können, dass es sich wie in den Filmen verhält: dass Sie gerade genug Geld für Schnaps und ein Klappbett hinterm Schreibtisch verdienen. Jedenfalls gehe ich deshalb davon aus, dass Sie irgendwo noch eine Privatwohnung besitzen. Das Merkwürdige ist nun: Methat hat Ihr Büro, sämtliche Schubladen und Aktenordner peinlichst genau durchsucht, aber nirgendwo fand sich eine Adresse, die diese Annahme bestätigt hätte. Verstehen Sie? Als hätten Sie eine Situation wie die heutige einkalkuliert und wären darauf bedacht gewesen, in Ihrem Büro möglichst keine Spuren zu hinterlassen, die zu Ihrem Privatleben führen. Vielleicht weil es in Ihrem Privatleben eine geliebte Frau, eventuell Kinder gibt?«
»Herr Hakim, ich weiß, dass Sie auf dem Feld der Andeutungen und undurchsichtigen Rede tätig sind, aber ich liege wohl nicht falsch in der Annahme, dass es Ihnen gerade nicht um Religion geht. Wenn Sie über Ihren missratenen Neffen sprechen wollen, schießen Sie los. Wenn Sie weiter um den heißen Brei reden möchten, lege ich auf. Außerdem: Verlassen Sie gefälligst sofort mein Büro!«
Hüstelndes Lachen. Neben mir trat Rashid mit bleichem Gesicht aus dem Toiletteneingang. Ich bedeutete ihm zu warten.
»Sehr gerne möchte ich konkreter werden, aber das machen wir besser nicht am Telefon.«
»Warum nicht? Ich habe nichts zu verbergen – oder: ein reines Gewissen, wie man bei Ihnen sagt. Wie steht’s um Ihr Gewissen, Herr Hakim?«
»Wo sind Sie jetzt? Ich kann sofort zu Ihnen kommen.«
»Tut mir leid, aber ich bin bei der Arbeit. Vor Montag Nachmittag habe ich keine Zeit.«
»So lange kann ich nicht warten.«
Ich dachte an seine Drohung, Deborahs und meine Wohnung ausfindig zu machen. »Na schön, wenn Methat ordentlich wieder aufräumt und das Türschloss ersetzt, falls es bei Ihrem Eintritt gelitten hat, können wir uns morgen spätabends an irgendeinem öffentlichen Ort kurz sehen.«
»Wie wär’s bei mir in der Moschee?«
»Nach meinem Verständnis, Scheich, ist das doch eher ein intimer Ort, nämlich um mit dem lieben Gott Zwiesprache zu halten. Ich schlage den ›Haxen-Herbert‹ am Bahnhof vor. Falls Sie noch Hunger kriegen, es gibt auch Salat.«
Er verstummte. Ich meinte, sein Kopfschütteln zu spüren.
Schließlich sagte er, und seine Stimme besaß mit einem Mal einen eisigen Ton: »Treib es nicht zu weit, Kemal Kayankaya. Also gut, morgen Abend, ›Haxen-Herbert‹ – so um elf?«
»Ganz hinten im Saal gibt es links eine Nische, dort können wir ungestört reden. Ich lasse sie für uns reservieren. Bis morgen Abend also.«
Ich beendete die Verbindung und wandte mich an Rashid. »Tut mir leid, dass Sie warten mussten. Wie geht’s?«
»Ach, na ja.« Er seufzte. »Ich muss mir wohl irgendwas eingefangen haben. Vielleicht war mit dem Eiersalat gestern Abend etwas nicht in Ordnung.«
»An Ihrer Stelle würde ich die Finger von dem Filterkaffee am Verlagsstand lassen und auch keinen Bananen-Kokos-Kuchen mehr essen.«
»Hab ich ja eh nur ein kleines Stück. Aber selbstgebackener Kuchen von einem Verlagskollegen – aus Höflichkeit muss man den wenigstens mal probieren.«
»Auch wenn Hans Peter Stullberg ihn gebacken hätte?«
Rashid hob seinen leicht trüben, angekränkelten Blick vom Boden und sah mich an. »Der hätte wohl eher Sangria gekocht und uns dazu was vorgetanzt. Leider erlaubt das sein Rücken nicht.«
Ich grinste, und wir machten uns auf den Weg zurück zum Verlagsstand.
»Ich bin übrigens froh«, sagte Rashid, »dass ich Ihren Ton heute Mittag nicht persönlich nehmen muss.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na, als Sie eben mit Ihrem Klienten telefonierten, da klangen Sie genauso mürrisch.«
»Hm. Sagen Sie, das Interview für das Wochenecho, sollte das Lukas Lewandowski führen?«
»Ja. Ich hab’s auf der Toilette auch gehört. Der Verlag hat von ›gesundheitlichen Gründen‹ gesprochen.«
»Das wären es, falls die Geschichte stimmt, ja auch.«
Kurz vor dem Stand des Maier Verlags kam uns im Gang die Assistentin von Katja Lipschitz entgegen: »Malik! Wir haben dich überall gesucht. Die Dame vom Radio Norderstedt wartet schon seit zehn Minuten.«
Rashid, eben noch bleich wegen erhöhter Darmtätigkeit und in nachdenklicher Stimmung, verwandelte sich in null Komma nix in die Ein-Glück-dass-es-Kerle-wie-mich-gibt-Werbekampagne zurück. Farbe trat in sein Gesicht, und seine Schultern spannten sich.
»Wir waren nur schnell ein bisschen
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