Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Luft schnappen. Bin schon bereit.«
An seinem Tisch erwartete ihn eine junge attraktive Rothaarige mit großen grünen Augen, rotgeschminkten Lippen, kurzem Rock, nackten Beinen und hochhackigen Stiefeln. In regelmäßigen Abständen befiel ihre Lippen ein nervöses Zucken, was sie verletzlich wirken ließ. Man konnte sehen, wie Rashid sich innerlich die Hände rieb.
Und dann sagte die Frau vom Radio Norderstedt nach der Begrüßung: »Ich komme von der Sendung ›Andersrum‹, und erst mal möchte ich Ihnen sagen, wie froh ich bin, endlich mal einen bekennenden schwulen Moslem in der Sendung zu haben.«
Auf dem Weg ins Literaturhaus zur Podiumsdiskussion mit Herrn Doktor Breitel rief ich aus dem Taxi Deborah an.
»Alles in Ordnung?«
»Volles Haus, viel zu tun, sag schnell.«
»Wartest du nach Feierabend bitte auf mich? Ich hol dich von der Weinstube ab.«
»Gerne. Ist irgendwas?«
»Jemand ist in mein Büro eingebrochen, und ich möchte nicht, dass du alleine in die Wohnung gehst.«
»Und ich dachte, es sei was Romantisches.«
»Ich klau dir auf dem Nachhauseweg ’ne Rose. Bis später.«
Der weitere Abend im Literaturhaus und in der Bar des ›Frankfurter Hofs‹ verlief bis auf wenige Ausnahmen mit jener mir nach einem Nachmittag am Verlagsstand schon fast vertrauten nervösen Ereignislosigkeit, die der Grundton der Buchmesse zu sein schien. Die Leute redeten und tranken viel, hatten aber vor lauter Menschen, Freunden, Bekannten, Kollegen, mit denen sie reden und trinken wollten, fast nie Zeit, mit einer Person ein Thema oder manchmal auch nur einen Satz zu Ende zu führen. Als hätte man einen Raum mit sich drehenden Kreiseln überfüllt, die immer nur kurz zusammenstießen, dadurch die Richtung änderten, gleich darauf mit dem nächsten zusammenstießen und immer so weiter.
Außergewöhnliches Ereignis Nummer eins: Herr Doktor Breitel, der mit seinen grauen Flanellknickerbockern, breiten, ledernen Hosenträgern, einem leuchtenden, blau-rot-gestreifen Hemd und einer gelben Fliege aussah wie eine Mischung aus dickem Hitlerjungen und Lady Gaga, dabei das übliche Zeug von der »drohenden Islamisierung Europas« redete und trotzdem von fast allen Anwesenden auf eine Art ernst genommen wurde, als spräche auf der Bühne Kant im grauen Dreiteiler.
Außergewöhnliches Ereignis Nummer zwei: Gretchen Love, die in einem blauen hautengen Nonnenkleid und mit leuchtend blonden Pippi-Langstrumpf-Zöpfen gegen elf den Saal der ›Frankfurter-Hof‹-Bar betrat und schätzungsweise siebenhundert Männerkinnladen zum Fallen brachte.
Außergewöhnliches Ereignis Nummer drei: ein betrunkener junger Kollege von Rashid, der sich offenbar an Katja Lipschitz ranmachen wollte und unsere Runde eine Weile mit gutgelaunter Lästerei über andere Kollegen und anderes Verlagspersonal unterhielt. Wie so oft an diesem Abend ging es irgendwann auch um Lukas Lewandowski und das vorerst abgesagte Wochenecho -Interview. Rashid und Katja Lipschitz waren sich mit betroffenen Mienen zum gefühlten hundertsten Mal einig, dass dieses Interview vielleicht/wahrscheinlich/hundertprozentig der Startschuss zu einer unerwarteten Verkaufswelle der Reise ans Ende der Tage und am Ende sogar der Eroberung eines Bestsellerplatzes gewesen wäre. Der betrunkene Autor versiebte seine Chancen bei Katja Lipschitz mit einem Scherz, den ich zur Abwechslung mal wenigstens zur Hälfte verstand. Rashid solle doch froh sein: Lewandowski mit seinem inhaltlich hand- und fußlosen, dabei stets höchst eloquenten Geschwätz sei schließlich eine Gefahr für Autoren. Weil seine unsinnigen Sätze so gut klängen, ließen sich viele, die es besser wissen müssten, immer wieder auf Lewandowskis Gedankenkonstruktionen aus dem Kokainreich ein. Für ihn sei Lewandowski der Cristiano Ronaldo des deutschen Feuilletons, unglaublich talentiert, »aber nicht sehr helle. Ich meine: Marien-Erscheinung.«
Vielleicht lag es daran, dass Katja Lipschitz die Hälfte, die ich verstand, nämlich die mit dem Fußballer Ronaldo, nicht verstand. Oder daran, dass sie selbst nachts um zwölf auf einer zunehmend ausgelassenen Party – zumindest vor Fremden wie mir – keinen Zweifel an ihrer Berufswelt zuließ und Lewandowski offenbar eines der Kraftzentren im Literaturbetrieb war. Jedenfalls schloss sie überraschend scharf die Reihen: »Das ist dummes Zeug. Lukas Lewandowski ist einer unserer wichtigsten Literaturförderer. Ich möchte solche Schmähreden nicht hören.« Wenig später
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