Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
verabschiedete sich der merklich ernüchterte Autor. Immerhin, als Rashid und ich gegen eins die Bar des ›Frankfurter Hofs‹ verließen, entdeckte ich ihn im Kreis von Gretchen Love, und nach seinen Gebärden und den lachenden Gesichtern um ihn herum zu schließen, schien er als unterhaltsames Lästermaul schon wieder gut in Form.
Ansonsten drehten sich die Kreisel in eindrucksvoller Gleichmäßigkeit: »Hey, du! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen… Ich freu mich total… Dein Interview/Kleid/Beitrag zur Berliner-Nachrichten -Debatte gefällt mir sehr… Oh, da ist Dings, muss mal kurz guten Tag sagen… Bin gleich wieder da.«
Für mich gab es nichts zu tun, außer zu lächeln und hin und wieder Hände zu schütteln. Obwohl Alkohol während eines Leibwächterjobs grundsätzlich tabu war, spielte ich an diesem Abend einige Male mit dem Gedanken, mir doch ausnahmsweise mal ein Bierchen zu gönnen. Die Gefahr eines Attentats erschien mir ebenso gering wie die Möglichkeit, dass Rashids Roman ohne die Schlagzeile »Autor von religiösem Fanatiker im ›Frankfurter Hof‹ erstochen« auf die Bestsellerliste kam.
Um zwanzig nach eins lieferte ich Rashid mit dem Taxi vor dem Hotel Harmonia ab, zehn Minuten später stieg Deborah zu, ließ ihre Handtasche auf den Boden fallen und legte ihren Kopf an meine Schulter.
»Und, schön was gelesen?«, murmelte sie.
»Was gelesen?«
»Na, Buchmesse.«
Auch der Taxifahrer lachte leise. Dabei bemerkte ich im Rückspiegel ein Paar Scheinwerfer, die uns folgten. Auf der Bockenheimer Landstraße bat ich den Taxifahrer, den Wagen für zwanzig Euro Trinkgeld abzuhängen.
»Was ist los?!«, schreckte Deborah von meiner Schulter hoch, als wir plötzlich mit Vollgas in die Mendelssohnstraße einbogen.
»Jemand verfolgt uns.«
Zum Glück war sie zu müde, um sich Sorgen zu machen.
Wir jagten noch um zwei weitere Ecken und über eine rote Ampel, dann waren wir die Verfolger los.
Zu Hause schlief Deborah augenblicklich auf dem Sofa ein, während ich Slibulsky anrief.
»Hey, weißt du, wie viel Uhr es ist?«, flüsterte er.
»Tut mir leid, ich brauche dringend deine Hilfe morgen.«
»Das passt aber schlecht. Ich habe mittags die monatliche Besprechung mit meinen Filialleitern, und abends wollte Lara mit mir auf eine Lesung gehen. Ist doch gerade Büchermesse, weißt du?«
»Ich weiß. Buchmesse.«
»Oder so. Jedenfalls liest uns da einer aus seinem Buch vor, na ja. Warte mal… Alles okay, Süße, schlaf weiter. Es ist Kemal.« Ich hörte einen Kuss und Gemurmel. Lara mochte mich nicht besonders, weil ich mir keine Mühe gab, ihren Religionstick ernst zu nehmen. Slibulsky nahm ihn auch nicht ernst, aber er gab sich Mühe.
»Ich geh mal kurz in die Küche… So«, fuhr er in normaler Lautstärke fort, »also, wie gesagt, der liest uns was vor. Was Philosophisches, aber verständlich und humorvoll, sagt Lara. Aussehen tut der Typ, wie Monty Python sich einen französischen Schlagersänger vorgestellt hätten. So lange weiche Haare und blasierte Rasierwasser-Reklame-Fresse.«
»Lara scheint ihn ja wirklich zu mögen.«
»Sie findet ihn supersüß und wahnsinnig intelligent, und mir kommt’s bei seinem Anblick hoch.«
»Na, da will ich euch den Abend mal nicht verderben, ich find schon jemand anderen.«
»Sehr lustig. Ich weiß nur nicht, wie ich es Lara sagen soll. Außerdem, wenn sie alleine geht, dann versucht der Philosoph bestimmt, sie sich zu krallen.«
Lara war zwanzig Jahre jünger als Slibulsky, sah aus wie Christina Ricci und wusste sich stets so zu kleiden, dass ihr hübscher Hintern und Busen sehr vorteilhaft zur Geltung kamen. Das verstand ich. Was ich nicht verstand: Warum Slibulsky, obwohl sie inzwischen seit über vier Jahren in seinem Haus und als selbständige Schmuckdesignerin mehr oder weniger von seinem Geld lebte, immer noch zu befürchten schien, er könne sie jederzeit verlieren und damit die Chance seines Lebens verpassen. Dabei liebte Lara ihn meiner Einschätzung nach sehr, wenn auch auf zickige Art, aber so war sie eben.
»Vielleicht kann Deborah es ihr erklären.«
Lara verehrte Deborah, seit sie erfahren hatte, dass Deborahs Großmutter jüdisch gewesen war. Einmal war sie freitagabends mit Hefezopf und Kerzen bei uns aufgetaucht und wollte Sabbat feiern. Mich hatte sie mit den Worten »Guck ruhig weiter Sportschau, das ist bestimmt nichts für dich!« im Sofa sitzen lassen. Es war allerdings auch nichts für Deborah, die zwar Laras mehr
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