Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
Gesellschaft beschreiben könne – das Einzige, was die meist eher unvorbereitet wirkenden und preiswert gekleideten Männer und Frauen aus Bamberg und Storlitz interessierte, war: BEKENNT SICH DER MOSLEMISCHE AUTOR ÖFFENTLICH ZU SEINER HOMOSEXUALITÄT ?
Kurz nach sechzehn Uhr rief mich Scheich Hakim auf dem Handy an. Ich stand zum dritten Mal an diesem Nachmittag bei den Waschbecken der Herrentoilette und wartete auf Rashid. Vielleicht lag es am verbrühten Filterkaffee, den er während der Interviews Tasse um Tasse in sich hineinkippte, vielleicht an den Interviews selber, jedenfalls ließ sein Durchfall nicht nach. Während ich neben dem Raum voller vorwiegend urinierender Männer stand und möglichst unbeteiligt zu Boden sah, bekam ich durch deren Gespräche mit, dass es auf der Buchmesse an diesem Tag offenbar drei beherrschende Themen gab. Erstens, Gretchen Loves in einem großen renommierten Verlag erschienener zukünftiger Bestseller Spermaboarding, oder wie hundert Männer gleichzeitig auf mich kamen, eine Art Erfahrungsbericht über den Selbstversuch eines Berliner Pornostars. Zweitens, der außer mir allen Besuchern der Herrentoilette – wie man am allgemeinen Interesse und manchem Gelächter erkennen konnte – bekannte Wochenecho -Journalist Lukas Lewandowski, der behauptete, im ICE zwischen Hannover und Göttingen auf dem Weg zur Buchmesse eine Marien-Erscheinung gehabt zu haben, und daraufhin alles Weltliche inklusive seiner Arbeit erst mal ruhen ließ, um sich ganz diesem Erlebnis zu widmen. Drittens, ein wohl ziemlich mächtiger Literaturkritiker, dessen Name nicht fiel, der nur ein paarmal »Blondi« genannt wurde – ob nach der Popband, Hitlers Schäferhund oder einfach wegen seiner Haarfarbe, war zumindest mir nicht klar – und der unter Pseudonym einen Roman veröffentlicht hatte mit dem Titel O mein Herz, mein Herz, so schwer, so leicht. Am Morgen war sein angeblich streng geheimes Pseudonym in mehreren Zeitungen gelüftet worden, und »Blondi« war auf der Messe zu einem der verantwortlichen Redakteure gelaufen und hatte ihn geohrfeigt. »Wahrscheinlich eher bespuckt und gekratzt, die kleine Klemmschwuchtel!«, tönte es aus der Ecke. »O mein Herz, mein Herz, so schwer!« Alle lachten.
In dem Augenblick klingelte mein Handy.
»Guten Tag, mein Bruder.«
»Guten Tag. Meines Wissens habe ich keinen Bruder. Wer spricht?«
»Scheich Hakim.«
Wieder wurde über den Urinalen über irgendwas gelacht.
»Warten Sie, es ist etwas laut hier.«
Ich stellte mich draußen auf den Gang neben den Toiletteneingang.
»Herr Hakim?«
»Kemal Kayankaya«, stellte er zufrieden fest. Er betonte den Namen türkisch.
»Ja, Sie haben die richtige Nummer gewählt.«
»Kein sehr christlicher Name.«
Sein Sprachrhythmus war monoton, ähnlich einem elektrischen Küchengerät, und er hatte einen starken Akzent, doch grammatikalisch war sein Deutsch einwandfrei. Oft wirkten seine Sätze wie auswendig gelernt. Als sei Deutschsprechen für ihn eine Arbeit, die er wie ein pflichtbewusster Beamter oder eine bessere Hure perfekt verrichtete, die ihn aber kaum interessierte.
»Für mich einfach nur mein Name.«
Er lachte hüstelnd.
»Warum wehren Sie sich gegen die Tatsache, dass Sie als Moslem auf die Welt kamen?«
»Ich wehre mich nicht dagegen, aber ich bejubel’s auch nicht. Ich hab’s mir nicht ausgesucht. Rufen Sie deshalb an – um über die religiösen Traditionen im Heimatland meiner Eltern zu sprechen?«
Wieder das hüstelnde Lachen.
»Mein Sekretär hat versucht, ein Treffen mit Ihnen auszumachen.«
»Er hat mir gesagt, dass Sie mich zu sehen wünschen, und ich habe ihm geraten, einen Termin zu vereinbaren. Ich bin nicht oft im Büro.«
»Ich seh’s.«
»Was sehen Sie?«
»Nun, ich sitze gerade in Ihrem Büro, und es wirkt tatsächlich nicht so, als würden Sie hier viel Zeit verbringen.«
Ich bemühte mich, ruhig weiterzusprechen. »So? Habe ich vergessen, abzuschließen?«
Wieder das Lachen. Es war mechanisch und gefühlsleer wie sein Deutsch und hatte nichts mit irgendeiner Art von Amüsiertsein zu tun.
»Wissen Sie, was interessant ist?«, sagte er, ohne auf meine Frage einzugehen.
»Eine Menge Sachen auf der Welt, Herr Hakim. Aber ich nehme an, Sie meinen etwas, auf das ich jetzt so schnell nicht komme.«
»Soweit ich Ihr Büro überschaue, gibt es hier keine Schlafmöglichkeit. Verzeihen Sie, aber ich hatte noch nie die Gelegenheit, den Arbeitsplatz eines echten Privatdetektivs
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