Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
oder weniger regelkonformes Ritual dieses Mal freundlich mitmachte, anschließend jedoch erklärte, dass sie ab nächster Woche freitagabends Sommelierkurs habe, was beinahe stimmte, der Kurs fand donnerstags statt.
»Was erklären?«, fragte Slibulsky.
»Dass ich dich morgen an Deborahs Seite brauche. Jemand will mir ans Leder, und ich mach mir Sorgen, dass er das über Deborah versucht.«
»Und wo bist du?«
»Ich hab den ganzen Tag Leibwächterjob. Kannst du die Filialleiterbesprechung in der Weinstube abhalten?«
»Kein Problem.«
»Okay, dann ruft Deborah Lara morgen früh an. Und was die Lesung betrifft, ich kenn da einen Autor, der liest nächste Woche im Literaturhaus: ›Eine okzitanische Liebe‹, Südfrankreich, Lavendelfelder, älterer Mann, junges Mädchen, ›sehr einfühlsam erzählt, augenzwinkernd, leicht, ohne den großen Fragen des Lebens aus dem Weg zu gehen…‹.«
»Bist du betrunken?«
»Is’n Zitat vom Werbeplakat. Ich arbeite zurzeit für einen Verlag auf der Buchmesse, und der Autor, Hans Peter Stullberg, ist einer der Stars dort. Ich treff ihn morgen, und dann versuch ich, euch eine persönliche Einladung zu besorgen. Ich bin sicher, das würde Lara ziemlich schick finden.«
»Älterer Mann, junges Mädchen… Ich weiß nicht.«
Ach, du lieber Himmel! »Was soll das denn jetzt?«
»Laras Ex war vorgestern hier. Der ist so alt wie sie, angehender Rockstar – weißt du, mit klugen Texten, der Scheiß –, und ich kam mir vor wie meine Oma. Hey, nicht auf den Teppich aschen, bitte, und: Assam oder Darjeeling? Es war zum Kotzen.«
»Hm.«
Zum Glück hörte ich in dem Moment Lara nach ihm rufen. Sie schätzte es nicht, wenn Slibulsky zu lange mit mir redete.
»Na, ist ja auch egal. Ich geh mal wieder ins Bett. Also, Deborah meldet sich morgen früh?«
»Ja«, sagte ich und »schlaf gut«, und wir legten auf. Ich dachte daran, dass Slibulsky früher als Drogendealer, Rausschmeißer und auch mal eine Weile als Geldeintreiber und Handlanger für einen der größten Zuhälter Frankfurts gearbeitet hatte. Das Leben war eine wundervolle Sache.
Dann zog ich Deborah aus und ihr ein Nachthemd über und trug sie ins Bett.
12
Am nächsten Morgen telefonierte Deborah mit Slibulsky und Lara, und sie verabredeten, dass Slibulsky sie um zehn Uhr von zu Hause abholen, zum Fleischer begleiten, anschließend in die Weinstube bringen und den restlichen Tag dort verbringen würde. Lara wollte am Nachmittag, wenn die Filialleitersitzung vorbei war, dazukommen.
»Für die ausgefallene Lesung darfst du dir ein Gericht wünschen, Kätzchen«, sagte Deborah. Wenig später verabschiedete sie sich und legte auf.
»Was hat sie sich gewünscht?«
»Salat mit Hühnerbrust.«
»Wow.«
»Na ja, was Leichtes eben, und das gibt’s bei uns ja wirklich nicht oft.«
»Und für uns?«
»Ich dachte, du musst arbeiten?«
»Ich werde versuchen, mit Rashid später vorbeizukommen. Nach zwei Tagen Buchmesse brauche ich mal wieder was Vernünftiges zu essen.«
»Soll ich Rinderzungen kaufen?«
»Ich liebe dich!«
Als Slibulsky eintraf, gab ich ihm noch schnell Valerie de Chavannes’ Adresse und Telefonnummer und bat ihn, wenn er in den nächsten Tagen bei ihr in der Nähe sei, mein restliches Honorar zu kassieren.
Dann fuhr ich als Erstes ins Büro. Die Tür war wie erwartet eingedrückt, ansonsten schien alles mehr oder weniger an seinem Platz. In der Mitte des Schreibtischs lag ein Minibuch-Koran, wahrscheinlich eine Art Best of. Innen war eine handschriftliche Widmung auf Deutsch: Für meinen vermissten Bruder. Es ist nie zu spät für die Weisheit des Propheten .
Ich stellte das Büchlein ins Regal, rief einen Schreiner an, der mir die Tür in Ordnung bringen sollte, und fuhr anschließend ins Hotel Harmonia .
Mein zweiter Buchmessetag verlief mehr oder weniger wie der erste. Rashid gab Interviews und Autogramme, ich saß hinter ihm in Verpflegungskammergerüchen – diesmal gab es kalte Schinken-Ruccola-Pizza, Teewurst- und Camembert-Brötchen –, und ungefähr alle eineinhalb Stunden zuckelten wir zur Toilette. Rashid hatte zwar keinen Durchfall mehr, aber während eines Interviews trank er mindestens einen Liter Wasser. Am Abend gab Herr Thys, der schlanke, gutaussehende, ungefähr fünfundfünfzigjährige Chef des Maier Verlags für Autoren und höhere Angestellte des Verlags ein Essen im ›Frankfurter-Hof‹-Restaurant. Thys saß in der Tischmitte, rechts von ihm Hans Peter Stullberg,
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