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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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– weil die Kerle zu viel nachdenken.«
    Sie lächelte müde. »Na, dann ist ja gut«, und sah auf die Uhr. »Ich muss jetzt wieder ans Telefon. Wenn Sie irgendwas brauchen, wenden Sie sich bitte wie besprochen an mich. Bis später.«
    Kurz darauf ließ sich Rashid am Tisch vor mir nieder und bekam von der jungen, in einen adretten blauen Hosenanzug gekleideten Assistentin von Katja Lipschitz eine Tasse vor sich hingeschmorten Filterkaffee und ein Stück Kokos-Bananen-Kuchen serviert.
    »Danke, mein Schatz.« Er zwinkerte ihr zu. »Mhmm, riecht der gut. Hoffentlich schreibt der junge Kollege so gut wie er backt.«
    »O ja«, sagte die Assistentin freundlich lächelnd, »ein tolles Buch, sehr berührend. Wenn Sie noch irgendwas brauchen, sagen Sie bitte Bescheid. Der Mann von der Bamberger Allgemeinen kommt in fünf Minuten.«
    »Was ist mit dem Wochenecho -Interview?«
    »Wir sind immer noch dran, Herr Rashid. Katja macht, was sie kann. Das Problem ist: Der Redakteur, mit dem das Interview vereinbart war, musste aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Tut mir leid. Sobald es Neuigkeiten gibt, bekommen Sie Bescheid.«
    Sie wandte sich zu mir: »Darf ich Ihnen auch ein Stück Kuchen bringen?«
    »Danke, nur ein Glas Wasser bitte.«
    Während die Assistentin das Glas Wasser aus der Verpflegungskammer hinter mir holte und mich eine Wolke Harzer-Käse-mit-Banane-Geruch aus der offenen Tür umfing, drehte sich Rashid zu mir um, mit Blick zur Verpflegungskammer: »Süß, nicht wahr?« Danach hielt er die Kuchengabel wie ein kleines Schwert in die Höhe. » Wochenecho -Interview! Wenn das klappt, dann geht die Auflage…« Er beschrieb mit der Gabel einen steil ansteigenden Strich.
    »Prima«, sagte ich.
    Wenig später brachte Katja Lipschitz’ Assistentin den Journalisten der Bamberger Allgemeinen an Rashids Tisch. Ein fülliger, unrasierter, ungekämmter, gemütlich wirkender Mittvierziger in ausgetretenen Schuhen und einem so zerknitterten Regenmantel, als hätte er darin die Nacht verbracht. Er ließ seine anscheinend schwere Umhängetasche auf den Boden plumpsen und begrüßte Rashid überschwenglich: »…Ist mir eine große Ehre… Freue mich sehr… Begeistert… Was für ein mutiges Buch… Danke für die Zeit, die Sie mir opfern…«
    Rashid bemühte sich, die Komplimente so weit wie möglich zurückzugeben: »…Freue mich auch sehr… Danke für Ihre Zeit… Bamberger Allgemeine, tolle kleine Zeitung…«
    Dann hob der Journalist ein altertümliches Aufnahmegerät aus seiner Umhängetasche – »Tja, zu modernerer Technik reicht’s bei der Bamberger Allgemeinen noch nicht« –, brauchte fünf lange Minuten, um das Gerät zum Laufen zu bringen, und fing schließlich an, seine auf einen kleinen Zettel voller Essensflecken notierten Fragen zu stellen.
    Es war Rashids erstes Interview, dem ich beiwohnte, es sollten noch acht an diesem Nachmittag folgen – mit dem Rüdesheimer Boten, dem Storlitzer Anzeiger, der Studentenzeitung Randale, mit Radio Norderstedt und noch irgendwem –, und so wenig sympathisch mir Rashid war, so sehr sollte er mir trotzdem spätestens nach dem dritten, vierten Interview leidtun.
    »Lieber Malik Rashid«, fuhr der Mann aus Bamberg nach ein paar belanglosen Fragen zu Rashids Geburtsort und Biographie fort, »ich pack den Stier jetzt mal gleich bei den Hörnern: Ist der meisterhafte, aufwühlende Roman Die Reise ans Ende der Tage nicht vor allem das subtile Coming-out eines nordafrikanischen Mannes, der lange genug in Europa gelebt hat, um sich der religiösen und traditionellen Ketten seiner Heimat nun auch öffentlich und sozusagen stellvertretend für viele gleich-… ich sag mal… -gepolte Männer zu entledigen?«
    »Bitte…?« Rashids Mund blieb offen. Er schien tatsächlich völlig überrascht. Bestimmt hatte er damit gerechnet, dass das Thema von Journalisten angesprochen würde. Dass es der Kern nicht nur seines Auftakt-, sondern auch aller weiteren Interviews an seinem ersten Buchmessetag werden sollte, darauf war er ganz offensichtlich nicht vorbereitet gewesen. Da konnte er noch so viel erklären, dass die homosexuelle Liebe seiner Hauptfigur zu einem Strichjungen einem Gemisch aus sexueller Frustration, Sehnsucht nach Freiheit, Lust am Verbotenen und höchstens zu einem geringen Anteil natürlicher Veranlagung entsprang und dass er, Rashid, sich als Schriftsteller einfach einen Konflikt ausgedacht habe, mit dem er den aktuellen Zustand der marokkanischen

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