Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)
links Mercedes García; Rashid war am Tischende platziert zwischen dem Vertriebschef und einer Kusine von Thys. Ich saß alleine am Nebentisch und kaute auf dem vom Verlag für alle bestellten, erstaunlich trockenen Rehrücken in Mango-Waldbeeren-Soße herum.
Thys entsprach kaum einem der üblichen Bilder, die sich ein Buchbranchenfremder von einem Verleger machte. Eher denen eines Immobilienmaklers oder Räuberbankiers. Prada-Anzug, dicke Sportuhr, etwas zu lange, etwas zu sorgfältig verstrubbelte Haare und ein leicht unheimliches, glattes, meist ins Ironische, manchmal ins Hinterhältige kippendes Lächeln. Gerne brachte er Oscar-Wilde-Zitate an und erwähnte Bekanntschaften mit Berühmtheiten. Zum Trinken gab es den bei solchen Anlässen wohl üblichen »guten Bordeaux«, aber erstens war mein Arbeitstag noch nicht beendet, und zweitens hatte Deborah mir das holzfassige Mixgetränk mit ihren frischen, fruchtigen Weinen ein für alle Mal abgewöhnt.
»…In Manhattan muss man heutzutage abends natürlich in Chelsea ausgehen. Neulich war ich dort mit Brandon Subotnik unterwegs…« Thys machte eine kurze Pause und lächelte gerissen in die Runde, ehe er zufrieden fortfuhr: »Dessen nächster Roman übrigens mit großer Wahrscheinlichkeit bei uns erscheint…« Thys hielt abermals inne, und es dauerte einen Augenblick, bis alle begriffen, wofür die erneute Unterbrechung gedacht war. Dann begann ein allgemeines, beifälliges Auf-den-Tisch-Geklopfe.
Nachdem ihr linker Tischnachbar ihr die Neuigkeit übersetzt hatte, rief Mercedes García temperamentvoll mit starkem spanischem Akzent: »I love the work from Subotnik!«
»Yes«, sagte Thys, »love is the right word when it comes to Subotnik! What an amazing author and character. We have been best friends for years and for example: he never misses sending birthday cards to me, my wife or even my children. With all his success he is still the same kind and attentive person he always was. Und was für ein Stilist, was für ein Arbeiter! Und schon wieder fällt mir Oscar Wilde ein: I was working on the proof of one of my poems all the morning, and took out a comma. In the afternoon I put it back again…!«
Allgemeines Gelächter. Hans Peter Stullberg, vom Bordeaux schon etwas mitgenommen, knurrte: »Wunderbar!«
Gegen zehn begann sich die Tischgesellschaft langsam aufzulösen. Manche wollten zu irgendwelchen Partys, andere zu einer späten Lesung, wieder andere einfach nur so schnell wie möglich in die ›Frankfurter-Hof‹-Bar.
Rashid war während des Essens von Thys nur einmal angesprochen worden: »Mein lieber Malik, es tut mir so leid, so ein phantastischer Wein – möchtest du ihn nicht wenigstens mal probieren?«
»Danke, Emanuel, aber du weißt ja: kein Alkohol.«
»Ich weiß, mein Lieber, ich weiß. Und trotzdem: Cola zu Rehrücken…«
Ansonsten war ihm entweder vom Vertriebschef das neue Lager- und Auslieferungssystem des Verlags erklärt worden, oder Thys’ Kusine hatte ihm von Marokko vorgeschwärmt.
»Marrakesch, Agadir, die Berge, das Meer, die Kliffs – was für ein wunderschönes Land. Und so nette Menschen, und das Essen! Mein Mann und ich haben schon überlegt, uns an der Küste irgendwas Kleines zu kaufen.«
Rashid blieb die ganze Zeit wortkarg, sagte meistens nur »Aha«, oder »Na ja« oder »Das sehe ich anders«, und nur einmal sprach er, soweit ich es mitbekam, zwei Sätze hintereinander: »Verzeihen Sie, aber ich habe mehrere Romane über Marokko geschrieben. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mal die Klappentexte lesen könnten.«
»Aber weiß ich doch! Und habe ich doch! Über einen homosexuellen Kommissar. Ganz toll, und so mutig!«
Für Rashid war der bisherige Abend also eher unbefriedigend verlaufen, und das, hoffte ich, gab mir die Möglichkeit, die Verabredung mit Scheich Hakim einzuhalten.
Während Thys’ Kusine sich in die kleine Schlange aus Verlagsangestellten einreihte, die sich zu Stullbergs Verabschiedung um den halben Tisch herum gebildet hatte, und der Vertriebschef die Rechnung prüfte, beugte ich mich zu Rashid. Er löffelte eine Mousse au chocolat. Wie alle anderen Autoren war er sitzen geblieben.
»Darf ich Sie kurz sprechen?«
»Sehr gerne«, sagte er und meinte es wohl auch so.
»Ich habe um elf einen geschäftlichen Termin, der dauert höchstens eine halbe Stunde. Ich könnte ihn platzen lassen, aber das wäre mir unangenehm. Wenn Sie Lust haben, sich einen Moment von der Messe auszuruhen,
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