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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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schrie sie, rang nach Luft und wandte ihm ihr geschwollenes Gesicht zu. Zum ersten Mal schaute sie Orson in die Augen und ihr besonders gütiger Blick berührte mich. »Tun Sie mir nicht weh, Sir.«
    »Es tut dir Leid«, sagte er und ging zu drei nebeneinander stehenden Metallregalen an der Wand neben der Hintertür. Vom mittleren Regal nahm er eine Lederscheide und einen grauen Schleifstein. Dann schlenderte er langsam zurück, zog seinen Hocker an die Wand, außer Reichweite für mich und Shirley. Beim Hinsetzen holte er das Messer aus der Scheide und zwinkerte mir zu. »Shirley«, begann er einschmeichelnd. »Schau mich an, Schätzchen. Ich möchte dich etwas fragen.« Erneut hob sie ihren Kopf in Orsons Richtung und atmete stoßweise und asthmatisch.
    »Weißt du gute Handwerkskunst zu schätzen?«, fragte er. »Ich will dir etwas über dieses Messer erzählen.«
    Sie verfiel in Hysterie, doch Orson beachtete ihr Schluchzen und Flehen nicht. Einen Moment lang hatte er mich völlig vergessen und war ganz allein mit seinem Opfer.
    »Ich habe dieses Werkzeug bei einem Messerschmied in Montana erworben. Er macht unglaubliche Sachen.« Gleichmäßig zog Orson die Klinge über den Schleifstein. »Die Klinge ist dreizehneinhalb Zentimeter lang, Karbonstahl, drei Millimeter dick. War gar nicht einfach, dem Messerschmied zu erklären, wofür ich dieses Teil brauche. Denn weißt du, man muss ihnen genau sagen, wofür man’s braucht, damit sie die passende Klinge machen. Schließlich habe ich dem Typen gesagt: ›Schauen Sie, ich will damit Großwild ausnehmen.‹ Und ich denk mal, das trifft’s genau. Ich meine, ich werde dich ausnehmen, Shirley. Würdest du dich nicht selbst als Großwild bezeichnen?«
    Shirley kam auf die Knie, presste das Gesicht auf den Boden und betete. Ich betete mit ihr, obwohl ich nicht gläubig bin.
    Orson fuhr fort: »Nun, ich muss sagen, ich war fasziniert von seinen Eigenschaften. Wie du selbst sehen kannst, ist die Klinge leicht gezackt, damit sie den zähen Brustmuskel durchtrennen kann, aber auch dick genug, um die Rippen zu durchdringen. Eine seltene Kombination bei einer Klinge. Deshalb war ich auch bereit, dreihundertfünfundsiebzig Dollar dafür zu zahlen. Siehst du den Griff? Elfenbein vom Schwarzmarkt.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ein ganz und gar exquisites Werkzeug. Hey, ich brauche deine Meinung, Shirley. Schau her.« Sie gehorchte ihm. »Siehst du diese Verfärbung auf der Klinge? Das kommt von den Säuren im Fleisch beim Tranchieren, und ich habe mich gefragt, was dir mehr Angst einjagt, zu wissen, dass ich dich gleich schlachten werde, oder diese Flecken auf der Klinge zu sehen und zu kapieren, dass dein Fleisch gleich ebenfalls diese Klinge befleckt. Oder wäre es vielleicht sogar noch furchteinflößender, wenn die Klinge noch so hell und glänzend wäre wie am ersten Tag? Falls das der Fall ist, hole ich ein Putztuch und poliere sie noch für dich.«
    »Das müssen Sie nicht tun«, sagte Shirley und setzte sich plötzlich auf. Sie starrte in Orsons Augen und versuchte, mutig zu sein. »Ich gebe Ihnen, was immer Sie wollen. Alles. Sie müssen es nur sagen.«
    Orson kicherte. »Shirley«, sagte er ernst. »Ich sag es mal so: Ich will dein Herz. Wenn du aufstehst und aus dieser Tür gehst, nachdem ich es herausgeschnitten habe, werde ich dich nicht aufhalten.« Er stand auf. »Ich muss mal pinkeln, Andy. Leiste ihr solange Gesellschaft.« Orson ging auf die Tür zu, schloss sie auf und trat nach draußen. Ich konnte hören, wie es gegen die Seitenwand der Scheune spritzte.
    »Ma’am«, flüsterte ich atemlos. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es tut mir so Leid. Ich möchte…«
    »Ich will nicht sterben«, sagte sie und flehte mich dabei mit ihren unglücklichen Augen an. »Lassen Sie es nicht zu, dass er mir wehtut.«
    »Ich bin an den Boden gekettet. Ich möchte Ihnen helfen. Sagen Sie mir…«
    »Bitte, töten Sie mich nicht!«, schrie sie ungeachtet meiner Worte. Sie wiegte sich auf den Knien vor und zurück wie ein autistisches Kind. »Ich will nicht sterben!«
    Die Tür ging auf und Orson kam wieder herein. »Nun, dann bist du am falschen Ort«, sagte er, »denn jetzt wird’s Zeit.« Er hielt das Messer an seiner Seite und ging bedächtig auf sie zu. Sie kroch auf Knien von ihm weg, denn ihre Hände waren immer noch mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Die Kette bremste sie immer wieder. Orson kicherte.
    »Nein!«, schrie sie. »Das können Sie nicht

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