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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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ihr zurück auf den Hocker. »Beruhige dich, Schätzchen«, sagte er, wieder mit süßlicher Stimme. »Atme tief durch, beantworte die Fragen und du bist wieder bei deinem Mann und… hast du Kinder?«
    »Drei«, schluchzte sie.
    »… bei deinem Mann und deinen drei wunderbaren Kindern, bevor der Morgen graut.«
    »Ich kann das nicht«, wimmerte sie.
    »Dann stirbst du einen qualvollen Tod. Es hängt allein von dir ab, Shirley.«
    Die einzige Glühbirne, die den Raum erhellte, begann zu flackern und tauchte die Scheune immer wieder für kurze Augenblicke in völlige Dunkelheit. Orson seufzte und stellte sich auf seinen Hocker. Er drehte die Glühbirne fest, kletterte wieder herab, kam zu meinem Stuhl herüber und legte eine Hand auf meine Schulter. »Leg los, Andy.«
    »Aber…«, ich schluckte. »Bitte, Orson. Tu es nicht…«
    Er beugte sich vor, um in mein Ohr flüstern zu können, ohne dass die Frau es mitbekam. »Stell ihr die Fragen oder ich erledige sie vor deinen Augen. Und das wird nicht angenehm sein. Du kannst zwar die Augen schließen, aber du wirst sie trotzdem hören. Die ganze verdammte Wüste wird sie hören. Aber wenn sie die Fragen richtig beantwortet, lasse ich sie laufen. Ich werde dieses Versprechen nicht brechen. Es liegt alles in ihren Händen. Darin liegt ja das Vergnügen.«
    Ich schaute die zitternde Frau auf ihrem Hocker an und spürte den festen Griff meines Bruders auf der Schulter. Orson wirkte kontrolliert, daher stellte ich die erste Frage.
    »Nennen Sie drei Theaterstücke von Shakespeare«, sagte ich hölzern.
    »Das ist gut«, meinte Orson. »Das ist eine faire Frage. Shirley?«
    ›»Romeo und Julia‹«, stieß sie hervor. »Hm… ›Hamlet‹.«
    »Hervorragend«, machte sich Orson lustig. »Noch eines, bitte.«
    Sie schwieg einen Moment und rief dann: »›Othello‹! ›Othello‹!«
    »Ja!« Orson klatschte in die Hände. »Eins von eins. Nächste Frage.«
    »Wer ist der Präsident der Vereinigten Staaten?«
    Orson schlug mir gegen den Hinterkopf. »Zu einfach! Deshalb werde ich jetzt eine Frage stellen. Shirley, wessen philosophische Theorie verbirgt sich in folgendem Zitat: ›Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann‹?«
    »Ich weiß es nicht. Woher zum Teufel soll ich das wissen?!«
    »Wenn du auch nur die geringste Ahnung von Philosophie hättest, wüsstest du, dass es Kant war. Eins von zwei. Andy?«
    Ich zögerte und schaute zu Orson auf »Stell die verdammte Frage, Andy!«
    Ich überlegte. »Auf welchem Hügel wurde Jesus Christus gekreuzigt?« Ich schaute zu Orson auf, und er nickte zustimmend.
    »Golgatha«, antwortete sie schwach.
    »Zwei von drei«, sagte Orson, doch dieses Mal klang er nicht so glücklich.
    »Vierte Frage. Wann…«
    »Ich hab eine«, unterbrach mich Orson. »Du kannst die letzte Frage stellen, Andy. Shirley, zu welchem Kontinent gehört das Land Gabun?«
    »Europa?«, antwortete sie so schnell, als wüsste sie es.
    »Oh, nein. Tut mir Leid. Afrika. Westküste.«
    »Hören Sie auf damit«, bettelte sie. »Ich kann Ihnen Geld geben, ich habe Kreditkarten, ich habe…«
    »Halt die Klappe«, sagte Orson. »Spiel gefälligst fair. Das tue ich auch.« Sein Gesicht lief rot an und er knirschte mit den Zähnen. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, sagte er: »Alles hängt jetzt von der letzten Frage ab. Andy, ich hoffe, du hast eine gute Frage; falls nicht, habe ich nämlich eine perfekte Frage im Kopf.«
    »Das Thema ist Geschichte«, sagte ich. »In welchem Jahr wurde die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben?« Ich schloss die Augen und betete, dass Orson diese Frage durchgehen lassen würde.
    »Shirley?«, sagte er nach zehn Sekunden. »Wo bleibt deine Antwort?«
    Als ich meine Augen öffnete, drehte sich mir der Magen um. Tränen liefen ihr die Wangen herab. »1896?«, fragte sie. »O Gott! 1896?!«
    »Eiiieehhhh! Tut mir Leid, das ist falsch. Es war das Jahr 1776.« Sie rutschte vom Hocker und sank zu Boden. »Zwei von fünf. Das war’s«, sagte er und ging zu Shirley hinüber. Er beugte sich zu ihr hinab, löste die Augenbinde, knüllte sie zusammen und warf sie mir zu. Shirley weigerte sich aufzuschauen.
    »Sehr schade, Shirley«, sagte er und umkreiste sie, da sie zusammengerollt auf dem Boden liegen blieb. »Dabei war die letzte Frage geradezu ein Geschenk. Ich wollte nicht, dass mein Bruder mit ansehen muss, was ich dir antun werde.«
    »Es tut mir Leid!«,

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