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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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irgendwie komisch, wenn du darüber nachdenkst. Wir beide leiden an derselben Störung, nur dich macht sie reich und berühmt und mich zum Serienmörder.«
    »Verrate mir eines«, sagte ich, als er sich etwas aufrichtete. »Wann hat das angefangen?«
    Er zögerte und dachte einen Moment darüber nach. »Vor acht Jahren. Im Winter 1988. Wir waren sechsundzwanzig und es war mein letztes Jahr als Obdachloser. Meistens übernachtete ich im Freien, denn ich blieb stundenlang in der Bücherei, bis sie abends um neun Uhr schloss, und dann waren die Unterkünfte immer schon voll.
    Wenn du eine kalte Nacht auf der Straße überleben wolltest, musstest du dorthin gehen, wo es Feuer gab – im Industriegebiet in der Nähe der Eisenbahnschienen. Dort in den Abladezonen lagen jede Menge Holzreste herum. Die Obdachlosen stapelten das Holz in Ölfässern und unterhielten die Feuerstellen bis zum Morgen beziehungsweise bis die Büchereien und Doughnut-Läden wieder öffneten.
    In jener Nacht waren die Unterkünfte belegt, daher ging ich zu den Schienen, als die Bücherei schloss. Es war ein langer Weg, zwei Meilen, wenn nicht noch mehr. Bis ich dort ankam, war ich so wütend, dass ich ausrastete. Das passierte mir immer öfter. Vor allem nachts. Ich wachte manchmal fluchend und schreiend auf. Beschäftigte mich in Gedanken mit Schmerz und Folter. In meinem Gehirn liefen immer wieder diese kleinen Szenarien ab, so dass ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren konnte. Ich verstand nicht, was mit mir los war.
    Als ich bei den Schienen ankam, brannten überall Feuer und Menschen scharrten sich in engen Kreisen darum. Ich fand keinen Platz nahe beim Feuer, also ließ ich mich ein bisschen weiter weg nieder, dort, wo Menschen bereits in dreckige Decken gehüllt oder unter Kartons schliefen.
    In mir drin wurde es immer schlimmer. Vor Wut konnte ich nicht mehr still sitzen, also stand ich auf und ging vom Feuer weg, dorthin, wo die Menschen nicht mehr so dicht aufeinander hockten. Es war spät, so gegen Mitternacht, und fast alle schliefen. Die Einzigen, die noch wach waren, saßen dicht bei den Feuerstellen, aber die waren zu betrunken oder zu müde, um sich um irgendetwas zu scheren. Sie wollten sich einfach warm halten.
    In der Nähe standen diese Wagons, die schon seit Jahren nicht mehr benutzt wurden. Ich stand ganz dicht bei einem dieser Wagons, als ich sah, wie ein Mann auf dem Schotter ohnmächtig wurde. Er hatte nichts, um sich warm zu halten. Ich starrte ihn an. Ein Schwarzer. Verwahrlost, alt, klein. Es ist merkwürdig. Ich erinnere mich noch genau, wie er aussah, bis hin zu seiner zerrissenen Lederjacke und der roten Pudelmütze. Wie man sich an das erste Mädchen erinnert, mit dem man gegangen ist. Er stank nach billigem Fusel. So überstand man dort die Nächte.
    Keiner achtete auf irgendetwas außer auf die Feuer, und da er betrunken war, zog ich ihn an den Füßen hinter den Wagon. Er wachte nicht mal auf. Schnarchte einfach weiter. Plötzlich stieg mein Adrenalinspiegel. So hatte ich mich noch nie gefühlt. Ich suchte nach einem scharfkantigen Holzstück, doch dann dachte ich, dass er einen geräuschvollen Tod sterben könnte, wenn ich ihn erstechen würde.
    Als ich den Stein sah, musste ich grinsen. Er passte einfach. War ungefähr so groß wie zwei Fäuste. Ich drehte den Mann vorsichtig auf den Bauch, zog ihm die Mütze ab und zerschmetterte seinen Hinterkopf. Er gab keinen Ton von sich. Ich hatte einen Orgasmus. Fühlte mich wie neugeboren. Ich ließ die Leiche unter dem Wagon liegen und warf den Stein in einen Fluss. Wer würde schon einen Gedanken an einen toten obdachlosen Mann verschwenden? Ich spazierte, angeheizt von endloser Energie, die ganze Nacht durch die Straßen. Brauchte nicht eine Sekunde lang Schlaf. Und das war der Anfang.
    Eines hatte ich jedoch nicht erwartet. Dass das Brennen in mir so schnell zurückkehren würde. Nach zwei Tagen fing es wieder an, stärker denn je, und forderte die nächste Tat.«
    Orson rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Mir war schlecht vor Ekel.
    »Ich werde dich jetzt in dein Zimmer einschließen, damit ich noch etwas Schlaf kriege, Andy.«
    »Plagen dich keine Gewissensbisse wegen des Mordes an diesem Mann?«, fragte ich.
    Orson drehte sich um und schaute mich an. »Ich denke nicht daran, mich für das, was ich bin, zu entschuldigen. Ich habe schon vor langer Zeit entschieden, dass Schuldgefühle mich niemals stoppen würden. Nicht dass ich nicht

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