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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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darunter gelitten hätte. Ich meine, ich hatte… Ich habe immer noch ein Gewissen. Ich habe lediglich kapiert, dass es sinnlos ist, mich davon quälen zu lassen. Das Wichtigste, was man in Anbetracht eines wahren Mörders begreifen muss, ist, dass Töten zu seiner Natur gehört und man diese Natur nicht ändern kann. So ist es nun mal. Es ist seine Funktion. Ich habe nicht darum gebeten, ich zu sein. Bestimmte chemische Verbindungen und bestimmte Ereignisse haben mich geformt. Es unterliegt nicht meiner Kontrolle, Andy, also habe ich beschlossen, nicht dagegen anzukämpfen.«
    »Nein, irgendwas in dir schreit, dass es falsch ist.«
    Er schüttelte traurig den Kopf und zitierte murmelnd Shakespeare: »Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen, dass, wollt ich nun im Waten stille stehn, Rückkehr so schwierig wär als durchzugehn.«
    Dann schaute er mich so merkwürdig an, als sei ihm plötzlich etwas in den Sinn gekommen. Der aufrichtige Klang seiner Stimme machte mir mehr Angst als alles, was er während des Vormittags gesagt hatte. »Ich weiß, dass du es vergessen hast. Aber irgendwann erzähle ich dir etwas und dann wird dir alles plötzlich sehr einleuchtend erscheinen.«
    »Was?«
    »Nicht heute. Du bist noch nicht so weit. Noch nicht so weit, mit dem umgehen zu können, was ich dir erzählen werde.«
    »Orson…«
    Er kletterte vom Bett und bedeutete mir mit einer Handbewegung, aufzustehen. »Lass uns etwas schlafen, Bruder.«

Kapitel 10
     
    Tag 10
     
    Ich spüre ein Gefühl von Freiheit. Orson hat mir den Nachmittag geschenkt, und so sitze ich auf dem Kamm des Hügels, über den ich immer schreibe, und schaue über die durstige Einöde. Ich befinde mich gut hundertfünfzig Meter über der Wüste auf einem flachen Felsen, so dass ich im Umkreis von siebzig Meilen alles überschauen kann.
    Ein goldfarbener Adler ist hoch über mir gekreist. Ich frage mich, ob er auf einem dieser dürren, hohen Wacholderbäume nistet. Wenn ich mich umdrehe, sehe ich etwa fünf Meilen östlich der Hütte etwas, was wie eine Straße aussieht. Ich habe drei silberne Punkte über den dünnen grauen Streifen rasen sehen und nehme an, dass es Autos waren. Doch das hilft mir nicht. Es wäre auch egal, wenn sich direkt neben der Hütte eine Tankstelle befände. Orson besitzt mich. Er hat Fotos von mir gemacht, wie ich diese Frau aufschneide. Sie lagen heute Morgen auf meinem Schreibtisch.
    Ich habe letzte Nacht wieder von Shirley geträumt. Dass ich sie nachts durch die Wüste getragen und sie ihrer Familie zurückgegeben hätte. Dass sie in ihrem rotgrauen Bowlinghemd ihren Mann und ihre drei Kinder angelächelt hätte, als ich sie dort zurückließ.
    Während des letzten Tages habe ich bei Orson einen deutlichen Stimmungswechsel beobachtet. Er ist nicht mehr mürrisch. Genau wie er gesagt hat. Anscheinend ist dies jetzt seine normale Zeit. Doch das Brennen wird zurückkehren und davor habe ich mehr Angst als vor allem anderen.
    Ich ziehe in Betracht, ihn einfach zu töten. Er beginnt mir zu vertrauen. Ich würde eine dieser schweren Buchstützen nehmen und ihm das Gehirn rausschlagen, genau wie er es mit dem armen Obdachlosen gemacht hat. Aber was würde mir das bringen? Ich bin ganz sicher, dass Orson genug belastende Beweise zusammengetragen hat, um mich in die Todeszelle zu bringen, selbst wenn ich ihn umbrächte. Davon abgesehen ist mir gestern Nacht etwas sehr Erschreckendes eingefallen: In einem seiner Briefe hat Orson gedroht, jemand würde der Polizei von Charlotte ein Päckchen mit Beweisen schicken, wenn er ihn nicht persönlich davon abhalten würde – wer hilft Orson?
     
    Ich warf den Schreibblock zu Boden, ließ mich von dem Stein gleiten und starrte in die Senke. Am Fuß des Hügels auf der der Hütte abgewandten Seite saß ein Mann auf einem Pferd und schaute zu mir herauf. Obwohl ich kaum mehr als einen braunen Fleck in der Wüste erkennen konnte, sah ich, dass er mir zuwinkte. Aus Angst, er könnte rufen, winkte ich zurück, packte den Block in einen kleinen Rucksack und hastete so schnell ich konnte den Hügel hinab.
    Ich brauchte mehrere Minuten, um den abschüssigen Hang zu überwinden und dabei die steilsten Stellen zu vermeiden. Während des Abstiegs knackte es mir in den Ohren, und unten angekommen, war ich außer Atem und mir brannten die Beine. Keuchend lehnte ich mich gegen einen staubigen Felsblock.
    Das Pferd stand etwa drei bis vier Meter von mir entfernt. Es schaute mich an, wieherte leise und ließ

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