Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
Vom Netzwerk:
reckte die Arme in die Luft und gähnte. Dann legte er sich der Länge nach auf die rote Fliesdecke und starrte mit leerem Blick die Wand an.
    »Ich werde immer so, wenn sie weg sind«, erklärte er. »Ein leerer Platz in mir drin. Genau hier.« Er zeigte auf sein Herz. »Du kannst es dir nicht vorstellen. Berühmter Schriftsteller. Ich meine, absolut nichts. Ich bin ein Mann in einer Hütte mitten in der Wüste, das ist alles. Das Ausmaß meines Lebens.« Er kickte die Stiefel weg und Sandkörner rieselten zu Boden. »Aber ich bin mehr als das, was in der Kühltruhe liegt«, sagte er. »Ich besitze das, was in der Kühltruhe liegt. Sie sind jetzt meine Kinder. Ich erinnere mich an jede Geburt.« Ich setzte mich und lehnte mich gegen die splittrigen Holzbalken. »Nach ein paar Tagen lässt diese Depression nach und ich fühle mich wieder ganz normal, so wie jeder andere auch. Doch das geht vorüber, und es fängt wieder an, in mir zu brennen, dort, wo jetzt diese Leere ist. Das brennende Verlangen, es wieder zu tun. Und ich tue es. Und der Kreislauf beginnt von neuem.« Er schaute mich mit totem Blick an, und ich versuchte, ihn nicht zu bedauern, obwohl er mein Bruder war.
    »Niemand zwingt dich dazu«, sagte ich. »Du könntest aufhören, wenn du es wirklich wolltest.«
    »Das habe ich eine Zeit lang auch geglaubt. Ein Dogma der Stoiker lautet, dass man seiner eigenen Natur entsprechend leben soll. Wenn du versuchst, jemand zu sein, der du nicht bist, ist das Selbstzerstörung. Nachdem ich meine gewalttätige Natur akzeptiert habe, konnte ich Frieden mit mir schließen. Hörte ich auf, mich und mein Handeln zu hassen. Früher war ich nach einem Mord viel schlimmer dran als jetzt. Trug mich mit Selbstmordgedanken. Aber jetzt bin ich auf die Depression gefasst, und das erlaubt mir, die Verzweiflung und das Gefühl des Verlustes mühelos zu überwinden.« Seine Laune verbesserte sich, während er sich selbst analysierte. »Ich fühle mich tatsächlich wohler, seit du hier bist, Andy. Es überrascht mich selbst.«
    »Vielleicht entspringt deine Depression dem Schuldgefühl, das man erwarten sollte nach dem Mord an einer unschuldigen Frau.«
    »Andy«, sagte er, und seine Stimme wurde heller, ein Zeichen, dass er das Thema gewechselt hatte. »Ich werde dir sagen, was mich überrascht hat, als ich dein erstes Buch las, das übrigens gut war. Deine Bücher verdienen es nicht, schlecht gemacht zu werden. Sie gehen viel tiefer als die üblichen Schundromane. Aber egal – nachdem ich ›Der Mörder und seine Waffe‹ gelesen hatte, ist mir klar geworden, dass wir das Gleiche tun.«
    »Nein. Ich schreibe, du tötest.«
    »Wir bringen beide Menschen um, Andy. Nur weil du es mit Wörtern auf Papier tust, entlastet dich das nicht von dem, was in deinem Herzen vorgeht.«
    »Einige Leute mögen nun mal die Art, wie ich Krimis erzähle«, erwiderte ich. »Wenn sie mich dafür bezahlen würden, Familiengeschichten oder Liebesromane zu schreiben, würde ich eben das tun.«
    »Quatsch! Etwas am Morden und an der Wut fasziniert dich. Du umklammerst diese Obsession durch dein Schreiben. Ich umklammere sie durch die Tat. Wer von uns beiden lebt seine wahre Natur?«
    »Zwischen dem Umgang mit unseren Obsessionen liegen Welten«, sagte ich.
    »Dann gibst du also zu, dass Mord für dich eine Obsession darstellt?«
    »Um der Argumentation willen, ja. Aber meine Bücher verletzen niemanden.«
    »Das würde ich nicht behaupten.«
    »Wie könnten meine Bücher töten?«
    »Nachdem ich ›Der Mörder und seine Waffe‹ gelesen hatte, fühlte ich mich nicht mehr so allein. Andy, du weißt, wie Mörder denken. Warum sie töten. Als das Buch vor zehn Jahren erschien, war ich verwirrt und erschrocken über das, was sich in meinem Kopf abspielte. Ich war damals obdachlos und verbrachte meine Tage in der Bücherei. Ich hatte noch nichts getan, aber das Brennen hatte bereits eingesetzt.«
    »Wo hast du damals gesteckt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Die Stadt tut nichts zur Sache. Ich werde dir nichts über meine Vergangenheit erzählen. Aber jedes Wort dieses Buches bestätigte mein Verlangen. Vor allem meinen Zorn. Ich meine, um diesen Protagonisten zu beschreiben, musstest du doch intime Kenntnisse von meinem Zorn besitzen. Und natürlich war dem auch so«, er lächelte, »mein Zwillingsbruder. Unglücklicherweise konnte ich mir den Zorn nicht von der Seele schreiben, daher mussten Menschen sterben. Aber dein Buch… hat mich inspiriert. Es ist schon

Weitere Kostenlose Bücher