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Bruderkampf

Bruderkampf

Titel: Bruderkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kent
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konnte Atwell, den Kajütsteward, nicht leiden und beobachtete ihn unablässig.
    »Ich nehme an, daß Sie allein essen werden, Sir?«
    Bolitho sah Stockdale flüchtig an und erinnerte sich an Vibarts aufwallende Verbitterung. »Ja, Stockdale, ich esse allein.«
    Leutnant Thomas Herrick zog den von Spritzwasser durchweichten Schal enger um den Hals und kroch tiefer in den Wachmantel. Über den schwarzen, schwankenden Toppen flimmerten klein und blaß die Sterne. Trotz der scharfen Luft spürte er, daß die Morgendämmerung nicht mehr fern war.
    Dunkelheit umhüllte das schwer stampfende Schiff. Alle Formen der einsamen Decks sahen unwirklich und ganz anders aus als bei Tage. Die gezurrten Kanonen glichen Schatten, und die summenden Wanten und Stagen schienen geradewegs in den Himmel zu führen, ohne Anfang und ohne Ende.
    Herrick ging gedankenverloren auf dem Achterdeck hin und her und achtete kaum darauf. Er hatte das alles schon oft gesehen und war in der Lage, eine Wache allein mit sich und seinen Gedanken zu verbringen. Gelegentlich blieb er neben dem großen Doppelrad stehen, hinter dem die beiden Rudergänger wie dunkle Statuen aufragten. Sie beobachteten die zitternde Nadel und die gebraßten Segel. Die Kompaßlaterne beleuchtete zum Teil ihre Gesichter.
    Vorn schlug es blechern drei Glasen. Ein Schiffsjunge regte sich an der Reling, rieb sich die Augen und kam nach achtern, um die Kompaßlaterne zu putzen und das Stundenglas umzudrehen.
    Immer wieder suchte Herricks Blick das schwarze Rechteck des Kajütniedergangs. Er fragte sich, ob Bolitho endlich schlief.
    Während der Morgenwache war der Kapitän bereits dreimal an Deck erschienen, dreimal innerhalb von anderthalb Stunden, lautlos, ohne alle Vorwarnung, ohne Rock, ohne Hut. Sein weißes Hemd und die Kniehose hatten sich verschwommen gegen die rollende schwarze See abgezeichnet. Ein gespenstiger, unwirklicher Anblick, die verkörperte Ruhelosigkeit eines gemarterten Geistes. Bolitho war jedesmal nur so lange geblieben, um nach dem Kompaß zu spähen oder einen Blick auf die Wachtafel neben dem Rad zu werfen. Danach war er an der Luvseite des Decks ein paarmal auf und ab gegangen und dann wieder nach unten verschwunden.
    Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte es Herrick gereizt und verärgert. Mußte es nicht bedeuten, daß der Kapitän seinem Dritten Leutnant nicht zutraute, die Wache allein zu gehen?
    Aber als Herrick den Zweiten um vier ablöste, hatte ihm Okes hastig zugeflüstert, daß Bolitho fast die ganze Nacht an Deck gewesen sei.
    Herrick runzelte die Stirn. Tief im Innern spürte er, daß Bolitho mehr einem dunklen Antrieb folgte denn einem Plan, eher einer Stimmung als einer Neigung, geradezu als wäre er ebenso gehetzt wie das Schiff. Es schien ihm unmöglich, still zu stehen, so als ginge es über seine Kraft, länger als eine Minute an einem Fleck zu bleiben.
    Eine undeutliche Gestalt bewegte sich an der Achterdeckreling, und Fähnrich Neales vertrauter Diskant klang durch die Dunkelheit.
    »Betts hat sich soeben gemeldet, Sir.«
    Neale schaute zu Herrick hoch und versuchte, die Laune des Dritten abzuschätzen.
    Herrick riß sich in die Gegenwart zurück. Betts, der einer Auspeitschung oder Schlimmerem durch Bolithos Einspruch entgangen war, mußte gemäß Befehl um drei Glasen zum ersten Strafdienst antreten. Vibart hatte deutlich klargestellt, was geschähe, falls er dem Befehl nicht folgte.
    Er sah Betts hinter dem kleinen Seekadetten stehen und rief: »Vorwärts, Betts. Aber schnell.«
    Betts kam an die Reling. Seine Stirn lag in Falten. »Sir?«
    Herrick wies zum unsichtbaren Masttopp empor. »Los, hinauf mit Ihnen!« Es klang nicht barsch. Er mochte Betts. Ein stiller, aber fähiger Mann, dessen plötzlicher Wutausbruch Herrick mehr überrascht hatte, als er sich eingestand. »Klettern Sie ins Großtopp, Betts. Halten Sie Ausschau, bis der Erste Leutnant andere Order erteilt.«
    Er spürte flüchtig Mitleid mit dem Mann. Hundertzehn Fuß über Deck, ohne Schutz vor dem kalten Wind . . . Betts würde innerhalb von Minuten erstarren. Bei sich beschloß Herrick bereits, Neale mit etwas warmem Essen hinaufzuschicken, sobald das Kombüsenfeuer brannte.
    Betts spuckte in die Hände und sagte tonlos: »Aye, aye, Sir.
    Scheint ein schöner Morgen?« Es klang, als bezöge sich seine Bemerkung auf etwas ganz Normales und Unwichtiges.
    »Aye.« Herrick nickte. »Der Wind läßt nach, und die Luft wird trockener.« Was zutraf. Betts Instinkt hatte den

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