Bruderkampf
hörte, wie sich der Ruf über Deck fortpflanzte, und sagte: »Es kommt mir so vor, als ob dieser Seemann provoziert wurde.«
Vibart paßte sich dem Schwanken des Schiffes an. Die Augen hielt er auf einen Punkt über der Schulter des Kapitäns gerichtet. »Betts ist kein Neuling«, sagte er heiser. »Er weiß, was er tut.«
Bolitho wandte sich ab und blickte wieder über die leere See.
Wenn es nur nicht gerade jetzt passiert wäre, dachte er bitter.
Noch ein paar Tage, und das feuchte, vom Wind geschüttelte Schiff wäre in der Sonne gewesen, unter der die Männer ihre Umgebung bald vergessen und die Blicke ins Weite gerichtet hätten, statt einander zu belauern.
Er hörte, wie das Wasser um das Ruder gurgelte, und vernahm das ferne Ächzen der Pumpen, an denen die Wache arbeitete, um das unvermeidliche Sickerwasser zu lenzen. Er fühlte sich müde und bis zum Äußersten erschöpft. Seit die Phalarope den Anker lichtete, hatte er sich voll eingesetzt und keine Anstrengung gescheut, das Schiff in den Griff zu bekommen. Er hatte mit den meisten Neulingen gesprochen und Kontakt mit der regulären Mannschaft hergestellt. Er hatte seine Offiziere beobachtet und dem Schiff das Äußerste abverlangt.
Er hätte in diesem Augenblick stolz sein können. Die Fregatte, richtig geführt, reagierte auf Ruder und Segel so lebhaft und bereitwillig wie ein Vollblutpferd.
Die meisten Neuen waren jenen Kommandos zugeteilt worden, für die sie sich am besten eigneten. Die Segelmanöver übertrafen schon jetzt seine Erwartungen. Bei der ersten passenden Gelegenheit beabsichtigte Bolitho, die Geschützbedienungen zu drillen. Bis jetzt hatte er allerdings nur die Einteilungen vornehmen können. Der ewige stürmische Wind hatte sie bisher von allem anderen abgehalten.
Und nun das. Er kochte innerlich. Kein Wunder, daß ihn der Admiral gebeten hatte, auf Farquhars Verhalten zu achten. Es klopfte. Evans betrat affektiert die Kajüte, seine Augen glitzerten im Lampenlicht wie Perlen.
»Nun, Mr. Evans«, sagte Bolitho und hob ungeduldig die Hand. »Berichten Sie, was geschehen ist – alles.«
Er drehte sich um und blickte wieder über die See, als Evans seine Erzählung vom Stapel ließ. Anfänglich schien Evans nervös, ja sogar nicht ohne Furcht, doch als Bolitho ihn sein Garn ohne Unterbrechung oder Bemerkungen abspinnen ließ, wurde seine Stimme schärfer und gehässiger.
»Aus welchem Faß kam das Fleisch, mit dem Betts nach Ihnen warf?«
Die Frage überrumpelte Evans. »Nummer zwölf, Sir. Ich sah selber, wie es verstaut wurde.« Schmeichlerisch fügte er hinzu: »Ich tue mein Bestes, Sir. Die Kerls sind undankbare Hunde.«
Bolitho wandte sich um und klopfte auf die Papiere, die auf seinem Tisch lagen. »Ich habe die Ladung ebenfalls geprüft, Mr. Evans. Vor zwei Tagen, als alles beim Exerzieren war.«
Über Evans dunkles Gesicht huschte Erschrecken, und Bolitho wußte, daß er mit seiner Vorspiegelung ins Schwarze getroffen hatte. Wut loderte plötzlich wie Feuer in ihm auf. Was er den Offizieren gesagt hatte, war alles umsonst gewesen. Selbst die beinahe ausgebrochene Meuterei schien Leute wie Evans oder Farquhar nichts gelehrt zu haben.
»Dieses Faß war im unteren Laderaum, nicht wahr?« fragte er heftig. »Und wie viele sind noch da unten?«
»Fünf oder sechs, Sir.« Evans Blicke schweiften nervös durch die Kajüte. »Sie gehören zu den ursprünglichen Vorräten, die ich . . .«
Bolitho schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie machen mich krank, Evans. Dieses Faß und die anderen, an die Sie sich plötzlich entsinnen, sind wahrscheinlich schon vor zwei Jahren übernommen worden, damals, als Sie zur Blockade von Brest ausliefen. Höchstwahrscheinlich sind sie undicht, und auf jeden Fall sind sie völlig verfault.«
Evans blickte zu Boden. »Ich – ich wußte das nicht, Sir.«
»Könnte ich Ihnen das Gegenteil beweisen, Mr. Evans«, sagte Bolitho barsch, »würde ich Sie Ihres Ranges entheben und auspeitschen lassen.«
Vibart regte sich. »Ich erhebe Protest, Sir. Mr. Evans handelte, wie er es für richtig hielt. Betts hat ihn angegriffen.
Um diese Tatsache kommen wir nicht herum.«
»So scheint es, Mr. Vibart.« Bolitho blickte ihn kalt an, bis Vibart beiseite sah. »Ich unterstütze gewiß die Bemühungen meiner Offiziere, meine Befehle auszuführen. Aber eine sinnlose Bestrafung dürfte derzeit mehr schaden als nützen.«
Bolitho fühlte sich plötzlich zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen, aber
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