Bruderkampf
Chaos. Die Leute der Freiwache rannten unaufhörlich in jene Männer hinein, die sich mit den verquollenen Brassen abquälten.
»Signal, Sir«, sagte Maynard heiser. Seine Lippen buchstabierten langsam: »Haben Sie Nachricht von Hoods Geschwader?«
Quintal hatte seine Leute endlich an den Stationen, und mit schlagenden und donnernden Segeln drehte sich die Phalarope schwer in den Wind.
Bolitho, mit den Armen schon halb im Rock, stieß Stockdale beiseite, als ihm bewußt wurde, was die Frage bedeutete.
Masterman hätte das nie und nimmer gefragt. Selbst wenn er die Verbindung zum Geschwader verloren hatte, mußte er wissen, daß die Phalarope in diesen Gewässern fremd war. Während seine Gedanken wild durcheinander wirbelten, verfolgte er hypnotisiert, wie die Phalarope weiter herumschwang, bis der Bugsprit der Andiron fast im rechten Winkel zu dem seines eigenen Schiffes stand.
Vibart drehte sich verblüfft und verwirrt um, als Bolitho schrie: »Kommando zurück, Mr. Vibart! Klar zum Wenden!«
Bolitho ignorierte die bestürzten Gesichter und die Unruhe, die der neue Befehl hervorrief, und konzentrierte seine Gedanken auf das andere Schiff. Angenommen, er hatte sich geirrt? Jetzt war es zu spät. Vielleicht war es schon von dem Augenblick an zu spät gewesen, als die Andiron auftauchte.
Der Bug der anderen Fregatte schwang weiter herum. Die Rahen drehten sich gleichzeitig. Die Andiron schoß auf die hilflose Phalarope zu. Noch ein paar Sekunden, und, unbedroht und allmächtig, hätte die Andiron das ungeschützte Heck der Phalarope gekreuzt.
Doch Bolitho merkte, wie sein Schiff sich durch den Wind arbeitete. Er verschloß die Ohren gegen die Schreie und Flüche seiner Offiziere und Männer. Die Wochen des Segeldrills bei jedem Wetter machten sich jetzt bezahlt. Wie Marionetten zogen die Seeleute an Fallen und Brassen, vom Verhalten des Kapitäns zu verwirrt, um zu verstehen, was vorging.
»Mein Gott, Sir«, rief Vibart. »Wir kollidieren.« Er starrte an Bolitho vorbei auf die heranbrausende Andiron. Die Phalarope schlingerte noch immer in ihrer Drehbewegung. Ihr Bug folgte dem anderen Schiff wie eine Kompaßnadel.
»Kurs Südost!« befahl Bolitho. »Zweites Reff ausschütteln!«
Er achtete nicht auf die Wiederholung und Weitergabe seiner Befehle, sondern ging entschlossen zu dem rotröckigen Trommelbuben neben der Kajütenluke.
»Rühr die Trommel. Klarschiff zum Gefecht!«
Der Ausdruck des Jungen schlug von Stumpfheit in Schrecken um. Doch Ausbildung und Disziplin behielten wiederum die Oberhand, und als die Trommel das Alarmsignal gab, wogte die Flut der Männer auf dem Hauptdeck nur einen Moment zögernd hin und her, ehe sie zerstob, als die Geschützbedienungen an die Kanonen rannten.
»Ihre Stückpforten öffnen sich«, keuchte Vibart. »Mein Gott, sie zeigt ihre Farben!«
Bolitho sah, wie die gestreifte amerikanische Flagge vom Wind entrollt wurde, während sich die Stückpforten der Andiron öffneten und die dahinter verborgenen Rohre herausstieß und wie das Gebiß eines Raubtiers zu ihnen herüberbleckten.
»Klar zum Gefecht, Mr. Vibart!« sagte Bolitho rauh. »Lassen Sie sofort laden und ausrennen.« Er rechnete nach, als Vibart zur Reling hastete. »Sie werden zehn Minuten benötigen. Ich will versuchen, Ihnen so viel Zeit zu verschaffen.«
Das Deck neigte sich, als die Phalarope von der anderen Fregatte abdrehte. Doch die Andiron schlug bereits den gleichen Bogen. Ihre Segel killten, als sie durch den Wind drehte, um den Abstand zu verringern. Die neue amerikanische Flagge leuchtete in hellen Farben vor den braunen Segeln, und Bolitho mußte sich mit Gewalt in die Gegenwart zurückrufen, um nicht mehr daran zu denken, was geschehen wäre, hätte die Andiron nicht dieses eine, törichte Signal gesetzt.
Dann hätte die Andiron nämlich das unbewehrte Heck der Phalarope gekreuzt, und ihre bislang hinter dem Schanzkleid und den geschlossenen Pforten verborgenen Kanoniere hätten eine Salve nach der anderen durch die großen Kajütfenster gejagt. Die pfeifenden Kugeln hätten sein Kommandozentrum zerfetzt. Und da sich die Hälfte seiner Männer noch hilflos und unvorbereitet unter Deck aufgehalten hätte, wäre alles innerhalb weniger Minuten zu Ende gewesen.
Selbst jetzt mochte es zu spät sein. Die Andiron war größer, ihr tiefer Kiel eignete sich besser für solche Manöver. Sie schnitt bereits das Heck der Phalarope und versuchte, so schnell wie möglich in Luvposition zu kommen, um
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