Bruderkampf
Schaden zu heilen. Er mußte Vibarts mürrische Erklärungen hinnehmen, genauso wie Okes' Bericht über den Angriff auf die Insel Mola. Er mußte seinen Offizieren die Stange halten. Und wenn sie feige oder dumm waren, mußte er sogar dafür die Schuld auf sich nehmen.
Er dachte an Vibarts Haltung, seit er selber das Kommando wieder übernommen hatte. An Vibarts Gesicht im Augenblick seiner Rückkehr entsann er sich nicht, zu sehr war ihm vor Schwäche und Schmerz alles vor den Augen verschwommen.
Doch in den Tagen danach hatte er ihn mehrfach gesehen.
Einmal, er fieberte und schwitzte in seiner schwankenden Koje, hatte sich Vibart über ihn gebeugt und gefragt: »Ob er durchkommt? Sagen Sie mir, Mr. Ellice, wird er durchkommen?«
Vielleicht bildete er es sich nur ein, jetzt ließ sich das nur schwer sagen. Aber eine flüchtige Sekunde hatte er gemeint, in Vibarts Stimme Haß gehört zu haben. Vibart hatte gewünscht, daß er nicht durchkam! Er haßte ihn wegen seiner Rückkehr von den Toten.
Die Tür öffnete sich, und Stockdale sagte heiser: »Ich habe Atwell gesagt, daß er Ihre beste Uniform herauslegen soll, Sir.
Und er kommt sofort, um den Tisch zu decken.« Er sah, wie erschöpft Bolitho war, und sagte: »Und jetzt legen Sie sich erst einmal hin.«
Bolitho funkelte ihn wütend an. »Ich habe zu arbeiten, verdammt. «
»Ich mache Ihnen bloß Ihre Koje zurecht. Zwei Stunden Schlaf bis zur Hundewache werden Ihnen guttun.« Er achtete nicht auf Bolithos Gesichtsausdruck und setzte heiter hinzu: »Wie ich sehe, ist auch die Formidable hier, Sir. Ein großes schönes Schiff, kein Zweifel. Aber einem Admiral wie Rodney kommt ein so großes Schiff auch zu, nicht wahr?« Er wartete noch einen Augenblick neben dem Bett, auf dem seine Hand ruhte. »Sind Sie soweit, Sir?«
Bolitho gab nach. »Nun ja, aber bloß zwei Stunden.
Keinesfalls länger.«
Er ließ sich von Stockdale in die Koje helfen und merkte, wie ihn die Müdigkeit von neuem übermannte. Stockdale langte nach den Schuhen und murmelte vor sich hin: »Sie bleiben schön liegen. Für den verdammten Admiral brauchen wir heute abend einen ausgeruhten Kapitän.« Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf das leere Gestell über dem Bett, und einen Moment fühlte er sich sehr unbehaglich. Der Säbel lag irgendwo im Wrack der Andiron. Wenn er ihn bloß wiederbekäme. Wenn er ihn bloß ... Er betrachtete das im Schlaf entspannte Gesicht des Kapitäns. Und er wollte etwas für mich tun. Stockdale zog den Vorhang vor, damit die Sonnenreflexe nicht auf Bolithos Gesicht fielen, und schlich dann leise zur Tür.
Die hohe Steinmole warf willkommenen Schatten über den Kutter der Phalarope , der an der Treppe lag. Bootsführer Packwood blieb kurz auf den Stufen stehen und sah zu den Leuten hinunter, die es sich bequem machten. »Ihr könnt Pause machen. Aber niemand verläßt den Kutter, verstanden?«
Onslow hockte sich bequem auf das Schanzkleid und zog eine kurze Tonpfeife aus dem Hemd. »Klar, Mr. Packwood«, murmelte er unhörbar. »Wir machen die Arbeit, und Sie ziehen ab und lassen sich mit Rum vollaufen.«
Die meisten waren zu müde, um etwas zu erwidern. Den ganzen Tag war der Kutter zwischen dem Ufer und der Fregatte hin und her gependelt, und die erste Erregung, wieder in einem Hafen zu sein, war in unzufriedenes Murren umgeschlagen.
Packwood befehligte die Abteilung. Ein fähiger Mann, bekannt dafür, die Arbeit gerecht zu verteilen. Doch es mangelte ihm an Phantasie. Hätte er den Leuten gesagt, daß die Arbeit nicht nur für die Seetüchtigkeit der Phalarope, sondern in noch höherem Maß für das Wohlbefinden der Besatzung auf See notwendig war, hätte das die Verbitterung möglicherweise etwas gedämpft. Aber wie die Dinge lagen, diente Packwood schon zu lange in der Marine, um nach unnötigen Erklärungen zu suchen. Arbeit war Arbeit. Befehle wurden eben ausgeführt, jederzeit und ohne jede Diskussion.
Pook, Onslows ständiger Gefährte, stemmte sich hoch und spähte zu den fernen Häusern hinüber. »Mutter Gottes«, sagte er schwer atmend, »ich sehe Frauen.«
Onslow zog eine Grimasse. »Was hast du erwartet?
Verdammte Priester?« Er beobachtete die Männer aus halbgeschlossenen Augen. »Die Offiziere sorgen schon für sich, ihr seht's ja, daß ich recht habe, Jungs.« Er spuckte über Bord.
»Aber es sollte bloß mal einer von euch versuchen, einen Fuß an Land zu setzen, und ihr werdet sehn, was passiert.« Er deutete auf den
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