Bruderkampf
tun, nur nicht das, was er erledigen sollte. Er fühlte den steifen Verband und ließ sich in die jüngste Vergangenheit zurückgleiten, wie so häufig seit seiner unerwarteten Rückkehr auf die Phalarope.
Wie bei allem anderen, so war es auch dabei schwierig, Tatsachen von den unbestimmten, wirren Bildern zu trennen, die mit dem Fieber gekommen und gegangen waren. Zu seinem Glück war die Pistolenkugel glatt zwischen den Rippen hindurchgegangen. Zurückgeblieben war eine tiefe, gezackte Narbe, die ihn bei jeder plötzlichen Bewegung zusammenzucken ließ.
Von dem Augenblick an, da er an Bord gebracht und die Boote hastig an Deck gehievt worden waren, waren seine Erinnerungen verschwommen und lückenhaft. Der wüste, unvorhergesehene Sturm hatte das Alptraumartige seiner Erinnerungsbilder nur noch gesteigert. Zwei Wochen lang war das Schiff mit fast nackten Rahen vor dem heulenden Sturm nach Südwesten abgelaufen. Dann, während er sich aus der ungeschickten Obhut des Wundarztes und dem unbestimmten Kommen und Gehen seiner Offiziere herauskämpfte, hatte sich der Sturm gelegt, die Phalarope hatte endlich über Stag gehen können, um sich nach Antigua zurückzuarbeiten und ihren Bericht abzuliefern.
Bolitho prüfte nochmals die sorgfältig zusammengestellten Berichte und Namensnennungen. Nichts durfte fehlen. Es gab später keine Möglichkeit, etwas nachzutragen. Jeder Name weckte andere Erinnerungen, und er hatte das sonderbare Empfinden, Zuschauer zu sein.
Fähnrich Charles Farquhar, der sich auf eine Weise bewährt hatte, die weit über seine tatsächlichen Erfahrungen hinausreichte: ein Seeoffizier, der eines Tages ein Kommando verdienen würde – Steuermannsmaat Arthur Belsey, der trotz eines verwundeten Armes viel zur endgültigen Vernichtung der Andiron beigetragen hatte.
Bolitho tupfte mit der Feder nachdenklich auf Belseys Namen. Sein letzter wilder Sprung vom zerschmetterten Rumpf der Andiron hatte jede Hoffnung ausgelöscht, daß er je wieder richtig Dienst tun könnte. Der gebrochene Arm ließ sich nicht mehr retten, und Belsey würde für den Rest seines Lebens ein Krüppel bleiben. Glück, die gute Erwähnung im Bericht und Bolithos Empfehlung sicherten ihm vielleicht schnelle Entlassung und eine den langen Dienstjahren angemessene Abfindung. Wahrscheinlich würde er nach Plymouth zurückkehren, dachte Bolitho traurig, und eine kleine Kneipe eröffnen. Jeder Hafen war voll von solchen Männern: zerbrochen und vergessen, klammerten sie sich an den Saum des Meeres, das sie an den Strand geworfen hatte.
Leutnant Herricks Erstürmung der Batterie . . . Nun, den bloßen Fakten ließ sich wenig hinzufügen. Hätte er versucht, die Wahrheit aufzuputzen, um das Lob zu verstärken, das Herrick so reichlich verdiente, würde der Admiral schnell die Kehrseite der Medaille sehen: nämlich daß der Erfolg zum großen Teil auf Glück beruhte, das sich zu einer gehörigen Portion Wagemut gesellte.
Es gab so viele »Wenn«, grübelte Bolitho verdrossen.
Wenn die Boote mit dem Enterkommando dichter unter Land abgesetzt worden wären, wäre jetzt jeder tot oder gefangen.
Wenn die Strömung für die Leute an den Riemen nicht zu stark gewesen wäre, hätte Herrick den unmöglichen Auftrag wie geplant ausgeführt, statt einen zweiten Weg eigener Eingebung einzuschlagen.
Und Stockdale? Nun, ohne seine Hilfe und unerschütterliche Treue hätte sich nichts von alledem ereignet. Sein Verstand hatte sorgsam jeden Schritt geplant, ohne daß ihn jemand geleitet, ihm jemand geholfen hätte. Und zu allerletzt hatte er ihm wiederum das Leben gerettet.
Aber was konnte er für ihn tun ? Für einen Mann wie Stockdale gab es keine Beförderungsmöglichkeit, keine irgendwie sinnvolle Belohnung. Gelegentlich, als er in die Kajüte kam, um nach der Wunde zu sehen, hatte er ihn gefragt, was ihm für seine Tapferkeit und Treue der liebste Lohn wäre.
Stockdale hatte keine Sekunde gezögert. »Wenn ich weiter bei Ihnen bleiben darf, Kapitän, einen anderen Wunsch habe ich nicht.«
Bolitho hatte eigentlich daran gedacht, Stockdales Entlassung aus der Marine zu beantragen, sobald das Schiff in einen britischen Hafen heimkehrte. Mit ein bißchen Unterstützung konnte Stockdale sich vielleicht in Ruhe und Frieden irgendwo niederlassen. Aber als was? Stockdales unverzügliche und schlichte Antwort hatte es ihm untersagt, den Gedanken weiterzuverfolgen. Er hätte ihn nur verletzt.
Er schrieb: »Was meinen Bootsführer Mark Stockdale
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