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Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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zurückkehrte zu seinem Platz hinter den Zapfhähnen. Sie sang, zwei-, dreimal immer das gleiche Lied, bis sich die rauchgeschwängerte Luft auf ihre Stimmbänder legte und sie kratzig und rau werden ließ. Dann ließ sie die Hände sinken. Vereinzelt klatschte jemand Applaus, und sie hob überrascht den Kopf. Ein paar Gäste hatten sich unterhalb der Bühne versammelt und ihr zugehört. Sie spürte, wie sie errötete, und senkte lächelnd den Kopf.
    Als sie an die Bar zurückging, hatte sich das Lokal schon merklich geleert. Das Mädchen mit der Pudelmütze und ihr Begleiter waren fort. Mick schenkte ihnen beiden ein Bier ein und setzte sich neben sie auf einen der Barhocker. Er begann, mit der ihm so eigenen, aufmerksamen Sorgfalt eine Zigarette zu drehen, und Clara schaute ihm schweigend zu. Etwas, was Clara an Mick besonders mochte, war seine Art, die Dinge einfach so zu lassen, wie sie waren. Er konnte gut zuhören und fand auch nichts dabei, wenn sie beide einfach schwiegen. Und gerade diese Eigenschaft hatte in der Vergangenheit dazu geführt, dass Clara langsam begonnen hatte, sich ihm gegenüber ein wenig zu öffnen und fast gegen ihren Willen Dinge über sich zu erzählen, die sie normalerweise für sich behielt. Bei Mick fühlte sie sich sicherer als sonst, gewissermaßen außer Gefahr. Und diese Erkenntnis hatte dazu geführt, dass sie sich plötzlich die Frage stellen musste, vor welcher Gefahr sie glaubte, sich schützen zu müssen. Eine Antwort darauf war sie sich bislang schuldig geblieben.
    Sie trank einen großen Schluck von ihrem Bier und verdrängte die tiefsinnigen Betrachtungen aus ihrem Bewusstsein. Es tat ihr gut, mit Mick zusammen zu sein. Es war wie ein kostbarer, kleiner Schatz, den sie behüten und bewahren wollte und den sie vor allzu neugierigen Fragen und Herumgestochere schützen musste. Auch vor ihrer eigenen Angewohnheit, ständig alles und jeden in Frage zu stellen.
    Mick hatte mittlerweile sein Kunstwerk beendet und sich die dünne Zigarette angezündet. »Ich könnt’ für heute Schluss machen«, sagte er mit seinem weichen, englisch-bayerischen Akzent. »Tami kann sich um den Rest alleine kümmern.«
    Der Rest waren unter anderem zwei versprengte Herzensbrecher, die noch an der Bar lehnten, ihre Gläser fest umklammert, und eine Gruppe Frauen anstierten, die an einem Tisch in der Ecke saßen und sich angeregt unterhielten. Keine der Frauen würdigte die Männer an der Bar auch nur eines Blickes. Sie waren mit sich und der Welt ganz offensichtlich zufrieden, und ihr ausgelassenes Gelächter drang bis zu ihnen herüber. Einer der Männer stieß seinen Kumpel an und machte eine anzügliche Bemerkung. Clara betrachtete die beiden mit einem Anflug spöttischen Mitleids. Schon wieder welche von der Sorte, die glaubten, die Welt der Frauen drehe sich einzig um sie, die Krone der Schöpfung. Auf die Idee, überhaupt noch gar nicht bemerkt worden zu sein, kamen sie überhaupt nicht, lieber interpretierten sie das fröhliche Gelächter als Flirtversuch der armen Mauerblümchen, die es gar nicht erwarten konnten, von ihrem männerlosen Dasein erlöst zu werden.
    Claras Blick wanderte weiter zu Tami, der australischen »Austauschstudentin«, die nun schon über zwei Jahre im Murphy’s bediente und es gar nicht eilig zu haben schien, in ihre Heimat zurückzukehren. Unvermittelt wanderten Claras Gedanken zurück zu Mick, der aus Newcastle stammte. Er war auch schon einige Jahre in München. Würde er irgendwann nach England zurückgehen? Sie trank hastig ihr Glas aus. Was für ein Schwachsinn, sich jetzt über so etwas Gedanken zu machen. Stattdessen nickte sie lächelnd »Ja, lass uns gehen.«
    Während sie auf Mick wartete, der der blonden Australierin die Schlüssel und noch ein paar Anweisungen gab und dann seine Jacke unter dem Tresen hervorkramte, spürte sie wieder ihr Herz klopfen, verdächtig nahe an ihrem Hals.
     
    Als Clara am nächsten Morgen erwachte, wusste sie zunächst nicht, was sie geweckt hatte. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es halb acht war. Der Sprühregen hatte sich in der Nacht in einen handfesten Herbstregen verwandelt und prasselte heftig gegen die Fenster. Einen Augenblick blieb sie still liegen und betrachtete Mick, der noch schlief, sein Kopfkissen fest umklammert. Ein Klingeln an der Haustür ließ sie hochfahren. Sie sprang aus dem Bett und streifte sich ihren alten Morgenmantel über, der hinter der Tür hing.
    »Guten Morgen!« Es war Gesine, ihre

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