Brudermord
Schwester, die fröhlich ihren Kopf zur Tür hereinstreckte, in der Hand eine Papiertüte vom Bäcker. »Hallo Schwesterchen! Bin heute Vormittag in der Stadt shoppen und dachte, wir könnten zusammen frühstücken, bevor du in die Kanzlei musst.« Sie drängelte sich zur Tür herein und hauchte Clara zwei Küsse links und rechts auf die Wange. Dann schob sie sie eine Armeslänge von sich weg und bemerkte nach eingehender Untersuchung von Claras Gesicht trocken: »Du siehst scheiße aus!«
»Danke auch.« Clara rieb sich die Augen und versuchte, ihre Haare glatt zu streichen, während Elise an ihr hochsprang und einen feuchten Schmatzer auf ihrer Nase platzierte, um dann an ihr vorbei ins Schlafzimmer zu drängen. Clara hatte die Dogge gestern Abend auf die Matratze im Flur verbannt und die Tür zum Schlafzimmer geschlossen, nachdem Elise, die sauer war, weil Clara sie zu Hause gelassen hatte, Mick zunächst mit beträchtlichem Argwohn umschlichen und dann mehrfach den Versuch gestartet hatte, zu ihnen ins Bett zu springen. Clara murmelte: »Gesa, das ist ja eine Überraschung …«, während sie fieberhaft überlegte, wie sie ihre Schwester so schnell wie möglich wieder loswerden könnte. Doch ein lauter Schrei unterbrach ihre Gedanken, gefolgt von ein paar deftigen, englischen Flüchen. Gesine riss die Augen auf, und Clara schob sie kurz entschlossen in Richtung Küche. »Mach’s dir doch schon mal bequem oder schalte die Kaffeemaschine ein, ich komme sofort …«
Clara hastete ins Schlafzimmer. »Was ist passiert?«, begann sie, doch dann verstummte sie angesichts des Bildes, das sich ihr bot: Elise lag in ihrer ganzen Größe quer über dem Bett und knurrte drohend, mit hochgezogenen Lefzen. Dem Bett gegenüber, zwischen Klavier und Schrank eingeklemmt, stand Mick und hielt sich ein Kissen schützend vor den Bauch. Als Elise Clara bemerkte, hörte sie sofort mit dem Knurren auf und klopfte freundlich mit dem Schwanz auf die Bettdecke.
»Sie hat mich gebissen!« Mick deutete empört auf Elise und umklammerte mit der freien Hand das Kissen noch fester.
»Wohin denn?«, fragte Clara unschuldig und musterte Mick von oben bis unten. Ihr Blick blieb einen Moment an dem Kissen hängen, und um ihre Mundwinkel zuckte es.
Mick schaute sie finster an. »In die Wade.«
Clara schüttelte den Kopf. »Was ist denn in die gefahren?« Streng sah sie ihren Hund an. »Mach, dass du rauskommst, aber dalli!«
Elise sprang beleidigt vom Bett. Sie hatte zumindest ein Lob erwartet für die tapfere Verteidigung ihres Frauchens vor diesem Eindringling. Oder aber auch eine etwas handfestere Belohnung wie beispielsweise ein Stück von dem Pansen, den Clara vor ein paar Tagen beim Metzger gekauft hatte und der in einer Tüte auf der Wäscheleine vor dem Küchenfenster hing, um nicht die ganze Wohnung mit dem Gestank zu verpesten, wie Clara in einer völligen Fehleinschätzung des köstlichen Duftes gemeint hatte.
Als Elise abgezogen war, setzte sich Clara auf die Bettkante und klopfte einladend neben sich: »Lass mal sehen.«
Micks Wade war ein wenig gerötet, und man sah schwach den Abdruck von Elises Zähnen, die Haut war jedoch unversehrt. Etwas anderes hatte Clara auch nicht erwartet. Doch trotzdem war Elises Verhalten ungewöhnlich. Clara überlegte. Seit sie Elise vor fünf Jahren bekommen hatte, war Mick der erste Mann, der bei ihr übernachten durfte. Bei den wenigen, nichtssagenden Affären, die sie seit der Trennung von ihrem Ehemann Ian vor sechzehn Jahren gehabt hatte und die kaum die Bezeichnung Affäre verdient hatten, war es schon aus Rücksicht auf ihren Sohn nie dazu gekommen. Aber jetzt war Sean ausgezogen, letzten Monat hatte er seinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert. In Irland, nicht bei ihr in München. Clara holte einen kalten Waschlappen aus dem Bad und drückte ihn auf Micks Bein. »Tut mir leid. Elise ist fremde Männer in meinem Bett nicht gewöhnt.«
Mick verzog das Gesicht. »Schön, das zu hören.«
Clara lächelte. »Sie wird sich daran gewöhnen.«
Mick warf ihr einen erstaunten Blick zu, schwieg aber, und Clara senkte hastig den Kopf, um ihn nicht sehen zu lassen, wie sie errötete. »Ach, und übrigens haben wir Besuch«, sagte sie schnell. »Meine Schwester war der Meinung, es sei eine gute Idee, mich zu überraschen.« Sie schnitt eine Grimasse.
Mick hob spöttisch die Brauen: »Noch ein Exemplar der Familie Niklas? Und das am frühen Morgen. Ob ich das verkrafte?« Er fuhr sich mit den
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