Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Brudermord

Titel: Brudermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
Vom Netzwerk:
die diese Definition zutrifft.« Sie warf einen Blick auf die Reste ihres Abendessens und fügte hinzu: »Von der Unfähigkeit, Mahlzeiten zuzubereiten, wollen wir jetzt mal gar nicht sprechen.«
    Sie klickte sich weiter, ohne wirklich schlauer zu werden. Der einzige Begriff, der immer wieder auftauchte und mit dem sie halbwegs etwas anfangen konnte, war Schizophrenie . Hatte man dabei nicht Wahnvorstellungen? Clara hatte das vage Bild von Frauen in wallenden Gewändern vor Augen, denen irgendwelche Geister oder Stimmen aus dem Jenseits befahlen, sich aus dem Fenster zu stürzen oder mit der Axt Jagd auf unschuldige Mitbürger zu machen. Aber diese Vorstellung entsprang wohl eher einem Horrorfilm als der Realität. Außerdem hatte ihre Mutter ja gesagt, bei dieser Art von Schizophrenie zeigten sich gerade keine solche Anzeichen. Aber war die Angewohnheit, Stimmen farbig zu sehen, nicht vielleicht doch schon so eine Art Halluzination? Aber dann war sie ja wohl harmlos. Oder täuschte sie sich da? Vielleicht gab es in Ruths Vorstellungswelt eine bestimmte Farbe, die sie in Rage brachte, von der sie der Meinung war, sie dürfe nicht existieren, müsse vernichtet werden? Womöglich hatte Johannes Imhofens Stimme eine solche Farbe gehabt? Clara schaltete den Computer aus. Farben hören! Was für ein Quatsch! Sie musste sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Sie nahm einen Zettel und schrieb darauf:
     
    1. Mit Pater Roman sprechen!!!
    2. Alte Strafakte??
    3. Krankenakte??
     
    Beim letzten Punkt hielt sie inne. Diese verschwundenen Akten bereiteten ihr am meisten Probleme. Ohne sie konnte sie unmöglich entscheiden, was mit Ruth in Zukunft passieren sollte. Würde es etwas nützen, der Klinik einen Besuch abzustatten? Sie würde diesem Dr. Selmany gern ein paar Fragen stellen und ihm dabei in die Augen sehen.
    Sie schrieb noch Dr. Selmany als vierten Punkt auf ihre Liste, dann ringelte sie Punkt 1 rot ein und malte neben Pater Romans Namen einen grimmig aussehenden Totenkopf: Den feinen Dr. Tenzer würde sie morgen zuerst in die Mangel nehmen. Sie schob das Blatt zusammen mit der Akte in ihre Tasche zurück und knipste die Schreibtischlampe aus.
    Unschlüssig sah sie auf die Uhr. Es war erst kurz nach zehn. Noch zu früh, um ins Bett zu gehen. Ruhelos ging sie zuerst in die Küche, warf noch einen vergeblichen Blick in ihren Kühlschrank und wanderte dann zurück ins Wohnzimmer. Ein verführerisches Wort stahl sich in ihren Kopf. Er war die ganze Zeit schon da gewesen, aber sie hatte es erfolgreich verdrängt: Murphy’s Pub. Weshalb zögerte sie nur? Was war schon dabei, wenn sie Mick treffen wollte? Er war immerhin … ja … also, ihr Freund, das konnte man doch so sagen. Nicht wahr? Clara musste lächeln angesichts ihrer inneren Rechtfertigungsversuche. Sie benahm sich wie ein alberner Teenager. Wenn sie in ihrer Stammkneipe ein Bier trinken wollte und außerdem Lust auf ein wenig Gesellschaft hatte, dann war das vollkommen in Ordnung. Keine große Sache. Sie lief ihm ja nicht hinterher oder so. Klammerte kein bisschen, niemals, so etwas würde sie nie tun … Sie warf einen Blick auf Elise, die mit vollem Magen auf ihrer Matratze im Flur schnarchte. Dann griff sie nach dem Telefon, um sich ein Taxi zu rufen.
     
    Als sie eine Straßenecke vor Murphy’s ausstieg, bereute sie es fast schon wieder, nicht doch zu Hause geblieben zu sein. Ein scharfer Wind wehte ihr den feinen Sprühregen ins Gesicht, mit dem der Nebel, der die Stadt schon den ganzen Nachmittag belagert hatte, nun endgültig von ihr Besitz ergriff. Die Straßen glänzten vor Nässe, und Clara spürte schon nach wenigen Schritten, wie sich ein feuchter Schleier auf ihre Haare und ihr Gesicht legte. Vor der grünen Tür des Pubs blieb sie stehen. Stimmen klangen heraus, und hinter den milchigen Scheiben bewegten sich schemenhafte Gestalten. Sie schalt sich albern, kindisch und vollkommen bescheuert, doch all das konnte nicht verhindern, dass ihr Herz heftig zu klopfen begann, als sie endlich eintrat.
    Sie sah ihn sofort. Hinter dem Tresen am Ausschank stand die Ursache ihres Zögerns und Haderns und Herzklopfens. Michael Hamilton, der Inhaber des Pubs, seit ein paar Monaten so etwas wie Claras … ja was denn nun eigentlich? Clara wusste es nicht so ganz genau, sie hatte es bisher auch vermieden, sich darüber Gedanken zu machen. Mick war die Sache in ihrem ohnehin nicht sehr geordneten Leben, die sie am wenigsten unter Kontrolle hatte. Sie

Weitere Kostenlose Bücher