Brudermord
Dienststelle zitiert. Es würde eine Gegenüberstellung mit der Zeugin geben. Sicher war sicher. Und wenn die Zeugin Ruth Imhofen einwandfrei als die Person identifiziert hatte, die am Tag des Mordes vor der Villa gestanden hatte, würde sie offiziell als Beschuldigte im Mordfall Imhofen gelten. Dagegen konnte dann auch diese kleine Giftspritze von Anwältin nichts mehr unternehmen.
Mit großem Unbehagen las Clara das Schreiben, das Linda ihr reichte. Eine offizielle Ladung ins Polizeipräsidium für heute Nachmittag. Das bedeutete, dass die Polizei irgendwelche Erkenntnisse gewonnen hatte, die die Wahrscheinlichkeit, dass Ruth die Täterin war, in ihren Augen erhöhte. Clara konnte sich schon denken, was es war: Sie hatten herausgefunden, dass Ruth an jenem Sonntag nicht, wie von Pater Roman behauptet, im Haus Maximilian gewesen war. Es war dumm von ihm gewesen, Gruber in diesem Punkt anzulügen. Jetzt war die ganze Geschichte erst recht verdächtig. Clara hoffte nur, dass nicht noch mehr dazukam. Sie musste noch einmal mit Ruth sprechen. Aber insgeheim wusste Clara, dass es keinen Sinn machte: Sie war sich sicher, dass Ruth die Frau war, die die Zeugin vor der Imhofen-Villa gesehen hatte. Das machte Ruth zwar noch nicht zur Mörderin, aber es war ein Indiz. Und die Polizei würde es genauso werten.
Clara seufzte. Nur mit halbem Ohr hörte sie Linda zu, die die anderen Katastrophen aufzählte, die sich während ihrer Abwesenheit ereignet hatten: Jemand von der Zeitung hatte angerufen, war aber abgewimmelt worden, und dann noch ein Polizeibeamter, wegen der Anzeigen gegen sie, und die Rechtsanwaltskammer bat um Stellungnahme …
»Anzeigen?« Clara runzelte die Stirn. »Haben Sie Anzeig en gesagt? Mehrere? Ich weiß nur von diesem Journalisten.«
Linda warf einen Blick auf ihren Notizblock. »Nein, ganz sicher hat er von mehreren gesprochen. Und der Herr von der Rechtsanwaltskammer meinte ausdrücklich, er möchte mit Ihnen über die beiden Ermittlungsverfahren sprechen.«
Zwei Ermittlungsverfahren? Clara ließ sich die Nummern geben und ging nach oben zu ihrem Schreibtisch. Wen sollte sie zuerst anrufen? Die Polizei oder die Kammer? Sie hatte auf keines der beiden Gespräche Lust und entschied sich für Pater Roman. Er war sofort am Apparat und klang ziemlich aufgelöst, was Clara nicht überraschte. Elmar Ziegler sei es gewesen, der die Polizei über Ruths Abwesenheit am Sonntag informiert hatte. Clara nickte, sie hatte schon so etwas geahnt. Er hatte die Lüge nicht durchgehalten, hatte Angst gehabt, in Schwierigkeiten zu kommen. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Nur dass sich damit sein Chef in größeren Schwierigkeiten befand, als Elmar sich vorstellen konnte. Clara bat Pater Roman, Ruth auszurichten, dass sie vor dem Termin noch mit ihr sprechen musste, und legte auf. Dann wählte sie seufzend die Nummer der Polizeidienststelle.
Als auch dieses Gespräch beendet war, kochte Clara vor Wut. Dieser Schweinehund von Arzt hatte doch tatsächlich die Unverschämtheit besessen, Clara wegen Besitzes der Unterlagen anzuzeigen, die Ralph Lerchenberg entwendet hatte. Er schien sich sehr sicher zu fühlen. Oder war es ein Akt der Verzweiflung? Clara hatte dem Beamten klipp und klar gesagt, dass sie nicht die Absicht habe, zu den Vorwürfen in irgendeiner Art und Weise Stellung zu nehmen. Sollten sie ruhig ein Verfahren gegen sie eröffnen. Selmany würde es nicht darauf ankommen lassen, in einer Verhandlung über diese Unterlagen zu diskutieren, dessen war sich Clara sicher. Es war ein Schnellschuss gewesen. Selmany hatte gehofft, sie mit dieser lächerlichen Anzeige unter Druck zu setzen. Doch das würde ihm nicht gelingen. Und wenn sie Selmany erst einmal selbst am Wickel hatte, würden ihm diese Spielchen schon vergehen.
Clara schob die Telefonnummer der Rechtsanwaltskammer unter die leere Kaffeetasse auf ihrem Schreibtisch. Die konnten warten. Wieso kümmerten sie sich überhaupt um diese Angelegenheit? Sie war schließlich nicht verurteilt. Wie kam es überhaupt, dass sie darüber schon Bescheid wussten? Noch vor ihr selbst? Clara knirschte mit den Zähnen. Dieser vermaledeite Gruber steckte dahinter, hundertprozentig. Er konnte sie nicht ausstehen, das hatte sie vom ersten Augenblick an gesehen. Wahrscheinlich hatte er etwas gegen Anwälte im Allgemeinen und gegen Frauen im Besonderen. Und sie würde heute Nachmittag dafür sorgen, dass sich seine Meinung von ihr um keinen Deut besserte.
Als Clara
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