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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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mehrmals hin. Als er nüchtern und bestürzt wieder erwachte, war es schon später Nachmittag, und er machte sich darauf gefaßt, daß unten bereits die Polizei auf ihn wartete. Aber unten befand sich niemand, außer seinem Vater, seiner Stiefmutter und dem Personal. Und keiner benahm sich so, als ob irgend etwas vorgefallen wäre. Sein Vater lächelte und fragte Timothy, wie es beim Tanzabend gewesen sei. Seine Schwester war außer Haus mit ihren Freunden unterwegs. Sie kehrte erst zum Abendessen zurück, und als sie da war, verhielt sie sich so, als wenn alles in Ordnung sei. Sie grüßte Timothy mit einem kühlen, distanzierten und üblichen Kopfnicken. An diesem Abend nahm sie ihn beiseite und sagte mit bedrohlicher, furchteinflößender Stimme: „Solltest du so etwas noch mal versuchen, bekommst du ein Messer in die Eier, das schwöre ich dir.“ Das war auch schon das letzte Mal, daß sie auf dieses Thema einging. In den ganzen vier Jahren hatte sie nicht einmal mehr davon gesprochen, zumindest nicht ihm gegenüber, aber wahrscheinlich auch zu keinem anderen. Offensichtlich hatte sie diese Episode in irgendeiner versiegelten Abteilung ihres Herzens verschlossen, verdrängte sie wie eine unruhige Nacht, wie schlechte Träume. Ich konnte jederzeit bezeugen, daß es ihr gelungen ist, eine perfekte, eisige Oberfläche aufzusetzen und ihre Rolle als ewige Jungfrau zu spielen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, wer oder was schon alles in ihr war.
    Das war’s. Das war auch schon alles. Als Timothy fertig war, sah er auf, ausgelaugt, leer, grau im Gesicht, als wäre er anderthalb Millionen Jahre alt. „Ich kann dir gar nicht begreiflich machen, wie beschissen ich mich deshalb immer gefühlt habe“, sagte er.
    „Fühlst du dich jetzt besser?“
    „Nein.“
    Das überraschte mich nicht. Ich habe nie daran geglaubt, daß das Öffnen der Seele einem das Leid lindern hilft. So etwas verteilt das Leid nur. Was Timothy mir erzählt hatte, war eine trübe Geschichte, eine erniedrigende Story, niederschmetternd und entmutigend. Ein Mädchen aus der Oberschicht, das sich mit solchen Geschichtchen gegenseitig in Besorgnis versetzt, sich um Jungfräulichkeit und Wohlstand sorgt und kleine, melodramatische Operetten erfindet, in denen sie selbst und ihre Freunde die Hauptrolle spielen, Geschichten, die hauptsächlich von Snobismus und Frustration leben. Mir tat Timothy wirklich etwas leid, der große, massige, nette Timothy aus der Oberschicht, halb Opfer und halb Krimineller, der bloß etwas Zerstreuung im Club gesucht hatte und statt dessen in die Eier getreten worden war. Also hatte er sich betrunken und seine Schwester vergewaltigt, weil er glaubte, das würde seine Laune verbessern, oder vielleicht hatte er sich auch gar nichts dabei gedacht. Und das war sein großes Geheimnis, seine schlimmste Sünde. Die Geschichte machte mich betroffen. Sie war so niederträchtig, so traurig; und von nun an mußte ich sie ständig im Kopf mit mir herumtragen. Ich war nicht fähig, auch nur ein Wort zu ihm zu sagen. Nach ungefähr zehn Minuten des Schweigens stand Timothy schwerfällig auf und schlurfte zur Tür.
    „Also, bitte sehr“, sagte er, „ich habe getan, was Bruder Javier von mir verlangte. Jetzt fühle ich mich wie ein Stück Scheiße. Wie fühlst du dich, Oliver?“ Er lachte. „Morgen bist du dran.“
    Ja, morgen bin ich dran.

 
37. KAPITEL
Eli
     
    Oliver sagte: „Das war damals, an jenem Tag, Anfang September, als mein Freund Karl und ich auf die Jagd gingen, nur wir zwei. Wir suchten den ganzen Morgen im struppigen Unterholz nördlich der Stadt nach Tauben und Rebhühnern, aber wir fanden nur Staub. Dann traten wir aus dem Wald heraus und sahen vor uns einen See, eigentlich war es mehr ein Weiher, und uns war heiß, und wir schwitzten, denn noch war der Sommer nicht vorbei. Also haben wir unsere Gewehre abgelegt und unsere Kleider auch und sind baden gegangen. Später saßen wir nackt auf einem großen, flachen Stein, ließen uns trocknen und hofften, daß einige Vögel vorbeifliegen würden, so daß wir sie ohne aufzustehen abschießen konnten – paff. Karl war damals fünfzehn und ich vierzehn. Ich war größer als er, weil ich schon voll ausgewachsen war, und im Frühjahr hatte ich ihn überholt. Karl war mir noch vor wenigen Jahren so reif und groß erschienen, aber jetzt wirkte er neben mir klein und schmächtig. Lange Zeit sprachen wir auf dem Felsen kein Wort, und dann, als ich gerade daran dachte

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