Bruderschaft der Unsterblichen
habt alles durchgemacht, habt Reichtum angesammelt, den Acker bestellt, seid von Land zu Land gezogen, von den glücklichen Höhlen zu den neuentstandenen neolithischen Dörfern, von den Bergen zu den Flüssen, über den ganzen Erdball, nach Persien, nach Rom, nach Palästina, nach Katalonien, habt die Sprachen gelernt, sobald sie aufgekommen sind, habt mit den Leuten gesprochen, eure Tempel und Klöster gebaut, habt Isis, Mithra, Jehova und Jesus eure Referenz erwiesen, diesem Gott und jenem, habt alles absorbiert, allem widerstanden, habt das Kreuz über den Totenschädel gestellt, als das Kreuz gerade in Mode war, seid zu Meistern in der Frage des Überlebens geworden, habt euch gelegentlich durch die Aufnahme eines Fruchtbodens mit frischem Blut versorgt, habt immer neues Blut verlangt, obwohl euer eigenes niemals gerinnt. Und dann? Ihr seid nach Mexiko gezogen, nachdem Cortez dessen Bevölkerung für euch unterworfen hat. Hier war ein Land, das die Macht des Todes verstand, hier war ein Ort, wo der Totenschädel immer regiert hatte, vielleicht ist er dorthin, genau wie in euer Land, von den Inselleuten gebracht worden, hmm? Missionare aus Atlantis auch in Cholula und Tenochtitlan, die dort den Kult der Todesmaske verbreitet haben? Ein fruchtbarer Boden, zumindest ein paar Jahrhunderte lang. Aber ihr besteht auf einer konstanten Erneuerung, und so seid ihr weitergezogen, habt eure Beute mitgenommen, eure Masken, eure Totenschädel, eure Statuen und eure paläolithischen Schätze; seid nach Norden gezogen, in das neue Land, das leere Land, das Herz der Wüste der Vereinigten Staaten, das Land der Bombe, das Land der Schmerzen. Und mit dem angewachsenen Eifer eures Alters habt ihr ein neues Haus der Schädel gebaut, was, Miklos, und hier sitzt du, und hier sitzen wir. Ist es so gewesen? Oder habe ich mir das alles nur eingebildet, habe ich deine vagen und trüben Worte zu einem fröhlichen, selbsttäuschenden Tagtraum zusammenfließen lassen? Woher soll ich das wissen? Woher soll ich das jemals wissen? Ich habe nur deine Worte, die schleierhaft, taumelnd und fliehend in meinem Verstand sind. Und ich kann das sehen, was mich umgibt, diese Verseuchung eures vorherrschenden Symbols durch die aztekische, christliche und atlanteische Brille. Und ich kann mich nur fragen, Miklos, wie kommt es, daß du immer noch hier sitzt, so das Mammut schon längst die Weltbühne verlassen hat? Und ich frage mich: Bin ich ein Idiot oder ein Prophet?
Der andere Bereich, den Bruder Miklos uns nahebringen soll, ist weniger verkümmert, eher bereit, ergriffen zu werden und nicht aus der Reihe zu tanzen. Er umfaßt eine Übung in Lebensverlängerung, in der Miklos lässig durch Zeit und Raum streift, auf der Suche nach Ideen, die möglicherweise erst lange nach ihm die Welt betraten. Um einen Anfang zu machen – warum soll man sich überhaupt gegen den Tod wehren, fragt er uns. Ist der Tod nicht eine natürliche Sache, eine wünschenswerte Erlösung von der harten Arbeit, ein Ziel, das jeder Gottesfürchtige sich wünschen muß? Der Schädel unter unserem Gesicht erinnert uns daran, daß alle Lebewesen zu ihrer Zeit abtreten müssen, keines bildet eine Ausnahme: Warum dann überhaupt diesem universalen Willen trotzen? Aus Staub bist du geworden, und Staub sollst du wieder werden, was? Alles Fleisch soll miteinander vergehen; wir verschwinden wieder wie ein Staubkorn, und für jedermann muß die Vorstellung schrecklich sein, es existiere etwas, das unauslöschbar ist. Aber was geben wir uns mit solcher Philosophie ab? Wenn es unsere Bestimmung ist abzuleben, muß es dann nicht auch unser Wunsch sein, den Zeitpunkt unseres Todes hinauszuschieben? Miklos’ Fragen sind rhetorisch gemeint. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzen wir vor diesem muskelbepackten Berg an Jahren und wagen nicht, den Rhythmus seiner Gedanken zu stören. Er sieht uns an, ohne zu sehen. Was, so fragt er, was, wenn jemand wirklich den Tod auf unbestimmte Zeit zurückdrängen oder ihn zumindest in eine ferne Zukunft verbannen könnte? Natürlich muß man dazu die eigene Gesundheit und Kraft pflegen: Man kann diesen Lohn doch nicht erringen, wenn man ein Klappergestell geworden ist, alt und sabbernd, brabbelnd und rheumatisch, eine museumsreife Ansammlung von Zerfallserscheinungen. Denkt an Tithonus, der die Götter um Erlösung vor dem Tode bat und mit der Unsterblichkeit belohnt wurde, aber nicht mit der ewigen Jugend; grau und verwelkt liegt er in einem
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