Bruderschaft der Unsterblichen
Übung hat, kann ich beim besten Willen nicht entscheiden. Wissenschaftlich gesehen, kann ich dabei nicht die Spur eines Nutzens erkennen, aber Eli beharrte schon von Anfang an darauf, daß das Leben mehr zu bieten habe, als die Wissenschaft behauptet, und falls die Techniken der Langlebigkeit hier auf metaphorischen und symbolischen Rückbesinnungen auf den Metabolismus beruhen, die zu empirischen Wechseln im Körpermechanismus führen, dann könnte es für uns von außerordentlicher Wichtigkeit sein, den Sonnenatem zu trinken. Die Brüder zeigen uns nicht ihre Geburtsurkunden; wir müssen uns dieser Operation, wie wir alle wissen, aus purem Glauben unterziehen.
Wenn die Sonne endgültig versunken ist, begeben wir uns in einen der größeren Versammlungsräume, um der letzten Verpflichtung des Tages nachzukommen: der Gymnastiksitzung mit Bruder Bernard. Nach dem Buch der Schädel ist es für die Verlängerung des Lebens von essentieller Bedeutung, den Körper geschmeidig zu halten. Nun, das ist natürlich nichts Neues, aber trotzdem enthält die Technik der Bruderschaft, den Körper geschmeidig zu halten, einen besonderen mystisch-kosmologischen Aspekt. Wir beginnen mit Atemübungen, deren Bedeutung uns Bruder Bernard in seiner üblichen lakonischen Art erklärt hat; sie haben etwas mit der Wiederherstellung der Beziehungen zum Universum der Phänomene zu tun, so daß sich bei einem der Makrokosmos innen und der Mikrokosmos draußen befindet, glaube ich jedenfalls, aber ich hoffe, daß ich nähere Erläuterungen darüber im Verlauf dieser Veranstaltungen bekomme. Außerdem gibt es eine ganze Menge esoterischen Gequatsches, die Entwicklung des „inneren Atems“ betreffend, aber offensichtlich wird es für uns als nicht so dringlich angesehen, das jetzt schon zu verstehen. Nun, wie dem auch sei, wir lassen uns nieder und bemühen uns energisch, den eigenen Körper durchzulüften, pumpen allen Unrat aus unseren Lungen und saugen gute, saubere, von den Geistern gebilligte Nachtluft ein; nach einer langen Periode des vollen Ein- und Ausatmens machen wir weiter mit Übungen zum Luftanhalten, die uns begeistern und schwindlig machen, bis wir zu befremdlichen Atemtransportmanövern kommen, durch die wir lernen sollen, unsere eingeatmete Luft zu allen möglichen Teilen unseres Körpers zu dirigieren, ganz ähnlich dem, was wir vorher mit dem Sonnenlicht gemacht haben. Das ist ganz schön anstrengend, aber die Durchlüftung beschert einem ein Gefühl unbeschwerten Glücks: Unser Kopf fühlt sich ganz beschwingt an, wir werden optimistisch und versichern uns gegenseitig wie selbstverständlich, daß wir auf dem richtigen Weg zum ewigen Leben sind. Vielleicht sind wir das auch, wenn Sauerstoff Leben und Kohlendioxid Tod bedeutet.
Sobald Bruder Bernard zu dem Schluß kommt, daß wir uns in ein Stadium der göttlichen Gnade geatmet haben, fangen wir mit dem Winden und Krümmen an. Diese Übungen ändern sich jeden Abend, als verfüge der Bruder über ein unbegrenztes Repertoire, das sich über tausend Jahrhunderte entwickelt hat. Setzt euch mit übereinandergeschlagenen Beinen hin, die Hacken auf dem Boden, verhakt die Hände über dem Kopf und berührt mit den Ellenbogen fünfmal rasch den Boden. (Au!) Berührt mit der linken Hand das linke Knie, hebt die rechte Hand über den Kopf und atmet zehnmal tief ein. Wiederholt das Ganze mit der rechten Hand zum rechten Knie, linke Hand nach oben. Jetzt beide Hände hoch über den Kopf, schreit und laßt dabei den Kopf nach oben schnellen, bis ihr hinter geschlossenen Augen Sterne sehen könnt. Steht auf, legt die Hände an die Hüften, dreht euch heftig zur Seite, bis der Rumpf in einem Neunzig-Grad-Winkel gebogen ist, erst nach links, dann nach rechts. Steht auf einem Bein und hebt das Knie des anderen ans Kinn. Hüpft herum wie von der Tarantel gestochen. Und so weiter, noch viele Sachen, für die wir im Moment noch nicht gelenkig genug sind: Fuß um den Kopf wickeln, Arme nach innen beugen, mit übereinandergeschlagenen Beinen aufstehen und wieder hinsetzen. Wir geben unser Bestes, was allerdings in Bruder Bernards Augen nie gut genug ist; wortlos gemahnt er uns durch die Geschmeidigkeit seiner eigenen Bewegung an das große Ziel, auf das wir zustreben. Ich bin darauf vorbereitet, daß wir eines Tages lernen, zum Gewinn des ewigen Lebens sei es absolut notwendig, die Kunst zu beherrschen, den eigenen Ellenbogen in den Mund zu stecken; wenn du das nicht kannst, ist das aber
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