Bruderschaft der Unsterblichen
Den Rest von uns aber lieben sie, wie ich bereits erwähnte, und auf eine abstrakte Weise lieben sie auch Timothy.
Nach dem Frühstück steht die Morgenmeditation bei Bruder Antony an. Er spricht kaum, sondern bringt uns lediglich mit ein paar Worten den geistigen Zusammenhang nahe. Wir versammeln uns im anderen langen Flügel des Gebäudes, der dem Schlafraumflügel gegenüberliegt. Dieser hier dient zur Gänze klösterlichen Funktionen. Statt der Schlafräume findet man hier Kapellen, insgesamt achtzehn, vermutlich korrespondierend mit den Achtzehn Mysterien; die Kapellen sind genauso beeindruckend nüchtern wie die anderen Räume, und sie enthalten eine Reihe von überwältigenden künstlerischen Meisterwerken. Die meisten sind präkolumbianisch, aber einige von den Kelchen und Bildhauerarbeiten sehen sehr nach europäischem Mittelalter aus, und es gibt einige seltsame Objekte (aus Elfenbein? Knochen? Stein?), die für mich absolut unidentifizierbar sind. Auf dieser Seite des Gebäudes befindet sich auch eine umfangreiche Bibliothek, die vollgestopft ist mit Büchern und Raritäten, wenn der Blick über die Regale streift; denn im Moment ist es uns verboten, diesen Raum zu betreten, obwohl seine Tür nie verschlossen wird. Bruder Antony trifft sich mit uns in der Kapelle, die dem Versammlungstrakt am nächsten liegt. Bis auf die allgegenwärtige Totenschädelmaske ist sie völlig leer. Er kniet nieder; wir knien nieder; er legt den kleinen Jadeanhänger von seiner Brust ab, der, was nicht überrascht, die Form eines Totenschädels hat, und legt ihn vor uns auf den Boden, als Fokus für unsere Meditationen. Als Oberbruder ist Bruder Antony der einzige, der einen Jadeanhänger trägt. Aber auch Bruder Miklos, Bruder Javier und Bruder Franz sind berechtigt, ähnliche Anhänger aus poliertem braunem Stein zu tragen – ich tippe auf Obsidian oder Onyx. Diese vier sind die Hüter der Schädel, eine besondere Gruppe innerhalb der Bruderschaft. Was Bruder Antony von uns anzuschauen verlangt, ist paradox, den Schädel unter dem Gesicht, die Gegenwart des Todessymbols unter unseren lebenden Masken. Durch eine Übung in „innerer Vision“ sollen wir uns vom Todesimpuls befreien, indem wir die Macht des Totenschädels absorbieren, ganz verstehen und schließlich endgültig zerstören. Ich weiß nicht, inwieweit einer von uns in diesem Bemühen bereits Erfolg hatte; was uns sonst noch verboten ist, ist der Vergleich unserer Fortschritte. Ich bezweifle, daß Timothy in Meditation sehr gut ist. Oliver ist ganz offensichtlich gut; er starrt auf den Jade-Totenschädel mit der Intensität eines Wahnsinnigen, überströmt ihn, umzingelt ihn, und ich glaube, sein Geist tritt hervor und in den Schädel ein. Aber bewegt er sich in die richtige Richtung? Eli hat sich vor einiger Zeit bei mir darüber beklagt, welche Schwierigkeiten er hat, mittels Drogen die höchsten Grade mystischer Erfahrung zu erreichen; sein Verstand ist zu lebendig, zu sprunghaft und hat mehrere Trips selbst zunichte gemacht, da er hin und her stieß, anstatt sich zu beruhigen und ins All treiben zu lassen. Ich glaube, er hat auch hier draußen Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Er wirkt angespannt und ungeduldig während unserer Meditationssitzungen, er scheint sich mit Gewalt dazu zu zwingen, dazu treiben zu wollen, in einen Bereich zu gelangen, den er eigentlich nicht erreichen kann. Was mich betrifft, so genieße ich unsere tägliche Stunde mit Bruder Antony; das Paradoxon mit dem Totenschädel korrespondiert natürlich gerade mit meiner Vorliebe für Irrationalität, und ich glaube, es bereitet mir wirkliches Vergnügen, obwohl ich mir natürlich der Möglichkeit bewußt bin, daß ich mich lediglich selbst betrüge. Ich würde gern den Grad meiner Fortschritte, soweit vorhanden, mit Bruder Antony diskutieren, aber solche selbstsüchtigen Anfragen sind uns momentan nicht erlaubt. Somit knie ich nieder und starre jeden Tag auf den kleinen grünen Schädel und treibe meine Seele voran und führe meinen immerwährenden inneren Kampf zwischen angerostetem Zynismus und unterwürfigem Glauben.
Sobald unsere Stunde mit Bruder Antony beendet ist, gehen wir wieder auf die Felder. Wir rupfen Unkraut, streuen Düngemittel aus – natürlich nur organischen Dung – und setzen Keimlinge ein. Oliver ist hierbei der Beste von uns. Er hat immer versucht, seine Farmkindheit zu verdrängen, aber jetzt, ganz plötzlich, prahlt er damit, genauso wie Eli mit seinem
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