Bruderschaft der Unsterblichen
erklärte sie uns. Ein bizarr gellender Tonfall. Timothy überlegt, ob er sie zum Bumsen in sein Zimmer bitten soll, das wird jedem von uns klar. Ich glaube, er will sie irgendeiner Sammlung einverleiben, die er von allen amerikanischen Typen anlegt. Eigentlich – und ich darf hier für mich, als Unterart der vielfältigen Erscheinung s formen der Perversität, in Anspruch nehmen, als objekt i ver Beobachter zu fungieren – sähe sie gar nicht mal so schlecht aus, wenn man sie nur ordentlich abschrubben würde, damit sie das ganze Make-up und Haarspray los wird. Sehr schöne, hochstehende Brüste, die sich unter ihrer grünen Uniform abzeichnen; hohe Wangenknochen und hübsche Nase. Aber die stumpfen Augen und die schlaffen, vorstehenden Lippen lassen sich nicht abw a schen. Oliver wirft Timothy einen erhitzten, drohenden Blick zu und warnt ihn damit, mit ihr etwas anzufangen. Zum erstenmal gibt Timothy auf: Auch ihn hat die d e pressive Stimmung besiegt. Sie weist uns zwei aneina n dergrenzende Doppelzimmer zu, dreizehn Dollar das Stück, und Timothy reicht ihr sein allmächtiges Stück Plastik. „Die Zimmer liegen links“, sagte sie, während sie die Kreditkartenmaschine bedient. Nachdem sie damit fertig ist, entzieht sie sich vollständig unserer Gegenwart und wendet ihre Konzentration einem japanischen Fer n seher mit einem Fünfzehner-Bildschirm zu, der auf ihrer Theke steht. Wir gehen nach links, am entwässerten Swimmingpool vorbei, und betreten unsere Zimmer. Wir müssen uns beeilen, sonst verpassen wir das Abendessen. Gepäck fallen lassen, Wasser ins Gesicht, raus zur Snack-Bar. Eine Kellnerin, schlottrige Haltung, ka u gummikauend; könnte glatt die Schwester des weiblichen Nachtportiers sein. Sie hat auch einen langen Tag hinter sich. Ein beißender Mösengeruch sticht uns von ihr in die Nase, als sie sich uns zuwendet, um das Silbergeschirr auf die Formica-Tischplatte hinzuknallen. „Was darf’s sein, Jungs?“ Keine escalopes de veau heute abend, kein caneton aux cerises. Kalte Hamburger, schmieriger Ka f fee. Schweigend essen wir, und schweigend trotten wir auf unsere Zimmer zurück. Runter mit den verschwitzten Kleidern. Unter die Dusche, erst Eli, dann ich. Die Ve r bindungstür von unserem Zimmer zu ihrem kann geöf f net werden. Sie steht offen. Dumpfe Geräusche von n e benan: Oliver, nackt, kniet vor dem Fernseher und kla p pert die Stationen ab. Ich beobachte ihn: eine straffe Hi n terfront, der breite Rücken, die baumelnden Genitalien, die unter den muskelbepackten Hüften zu sehen sind. Ich unterdrücke meine aufkommenden Lustgefühle. Diese drei Menschenfreunde sind ganz gut mit dem Problem fertig geworden, einen Bisexuellen als Zimmergefährten zu haben. Sie geben vor, meine „Krankheit“, meine „Veranlagung“, existiere gar nicht, und machen von di e sem Punkt an weiter. Die erste Regel der Liberalen: B e handle Gehandicapte nicht gönnerhaft. Tu so, als könnte der Blinde sehen, als sei der Farbige weiß, als würde der Homosexuelle innerlich nicht vom Anblick von Olivers glattem, festem Arsch aufgewühlt. Nicht, daß ich ihm jemals ein offenes Angebot gemacht hätte. Aber er weiß es. Er weiß es. Oliver ist kein Dummkopf.
Warum sind wir heute abend so depressiv?
Es muß von Eli ausgegangen sein. Den ganzen Tag über war er schon mürrisch, hatte sich ganz ins Reich existentieller Verzagtheit zurückgezogen. Ich glaube, eine reine Persönlichkeitskrise, geboren aus Elis Schwi e rigkeiten, seine unmittelbare Umgebung mit dem Ko s mos als Ganzem zu verbinden; aber sie hat sich subtil und heimlich verallgemeinert und schließlich uns alle infiziert. Sie hat die Form von zermarterndem Zweifel angenommen:
1. Warum haben wir uns überhaupt auf dieses Unte r nehmen eingelassen?
2. Was erhoffen wir uns wirklich als Gewinn?
3. Können wir wirklich hoffen, das zu finden, was wir suchen?
4. Falls wir es finden, wollen wir es überhaupt?
Also muß der ganze Vorgang der Selbstbegeisterung, der Selbstverwandlung wieder beginnen. Eli hat seine Papi e re wieder hervorgeholt und studiert sie eifrig; das Man u skript mit seiner Übersetzung des Buchs der Schädel, die Kopien von den Zeitungsausschnitten, die ihm Hilfe bei der Suche nach dem Ort in Arizona leisteten, mit diesem antiken und unwahrscheinlichen Kult, dessen heilige Schrift dieses Buch vielleicht gewesen ist, und seine Unmengen an Sekundärwerken und Einführungen. Nach einiger Zeit blickt er auf und sagt: „,Alle im
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