Bruderschaft der Unsterblichen
absolut nichts, kein spiritistischer Gehalt, kein Geheimnis, keine Ekstase. Als wäre man ein R e formjude. Und du, Ned, ein Katholik, der verhinderte Priester, was hast du? Die heilige Jungfrau? Die Heil i gen? Das Christuskind? An den Schmarren glaubst du sicher nicht. Du hast es aus deinem Verstand verbannt. Das ist etwas für dumme Bauern, für die Herunterg e kommenen. Die Heiligenbildchen und das Weihwasser. Brot und Wein. Du möchtest daran glauben – lieber Gott, ich möchte selber gerne daran glauben können. Der K a tholizismus ist die einzige vollständige Religion in dieser Zivilisation, die einzige, die wenigstens versucht, etwas Geheimnisvolles zu haben, Resonanz mit dem Übern a türlichen, Gegenwärtigkeit von höheren Mächten. Nur haben sie das zugrundegerichtet, uns zugrundegerichtet, man kann sich nicht mehr damit identifizieren. Jetzt spielt sich das bei Bing Crosby und Ingrid Bergman ab oder in den geschriebenen Manifesten der Berrigans oder bei Polacken, die gegen den gottlosen Kommunismus und gegen Pornofilme wettern. Das ist aus der Religion geworden. Sie ist vorbei. Und was wird aus uns? Allein unter einem schrecklichen Himmel erwarten wir das E n de. Erwarten wir das Ende.“
„Eine ganze Menge Leute gehen immer noch in die Kirchen“, führte Timothy aus. „Sogar in die Synagogen, nehme ich an.“
„Aus Gewohnheit. Aus Angst. Aus sozialer Notwe n digkeit. Aber öffnen sie ihre Seelen vor Gott? Wann hast du dich zuletzt Gott offenbart, Timothy? Oliver? Ned? Wann ich? Wann ist uns überhaupt der Gedanke geko m men, so etwas zu tun? Es klingt absurd. Gott ist von den Evangelisten so versaut worden und von den Archäol o gen und den Theologen und dem ganzen Betrug um die Frömmelei; da ist es ja kein Wunder, daß Er gestorben ist. Selbstmord. Aber was wird jetzt aus uns? Sollen wir alle Wissenschaftler werden und alles mit Begriffen wie Neutronen, Protonen und DNS erklären können? Wo liegt dort der tiefere Sinn? Wir müssen selbst etwas tun“, sagte Eli. „Dem modernen Leben mangelt es an Myster i en. Nun gut denn, es wird also die Aufgabe des intell i genten Menschen sein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der das Überleben des Unerklärlichen möglich ist. Ein verschlossener Geist ist ein toter Geist.“ Eli geriet jetzt in Fahrt. Der Eifer packte ihn. Der Billy Graham des Dr o genzeitalters. „In den letzten acht, zehn Jahren haben wir alle versucht, zu einer Art brauchbaren Synthese vo r wärtszustolpern, eine strukturelle Wechselbeziehung, die inmitten dieses Chaos’ die Welt für uns zusammenhält. Das Hasch, die harten Drogen, die Kommunen, der Rock, die ganze transzendentale Klamotte, die Astrologie, die Makrobiotik, der Zen – wir suchen, nicht wahr, wir s u chen doch immer? Und manchmal finden wir auch etwas. Nicht oft allerdings. Wir schauen auf viele stumme Di n ge, weil wir im Grunde genommen selbst stumm sind, sogar die Besten von uns, und auch, weil wir die Antwo r ten nicht finden können, bevor wir nicht mehr Fragen erarbeitet haben. Deshalb jagen wir Fliegenden Unterta s sen hinterher. Wir legen Taucheranzüge an und suchen Atlantis. Wir begeistern uns für Mythologie, Phantasie und Paranoia. Tolkiens Middle Earth und andere Ve r rücktheiten, tausenderlei Arten der Irrationalität. Was immer sie abgelehnt haben, dessen nehmen wir uns gerne an, oft aus keinem besseren Grund, als daß sie es ve r dammt haben. Die Flucht aus der Realität. Ich will das ja gar nicht gutheißen. Ich behaupte einfach, daß sie no t wendig ist, eine Phase, durch die wir alle hindurch mü s sen, Feuer und Eis. Die Vernunft hat versagt. Der westl i che Mensch floh von der abergläubischen Ignoranz in die Leere des Materialismus: Jetzt müssen wir weiterm a chen, manchmal über Sackgassen und Irrwege, bis wir wieder lernen, das Universum in all seiner geheimnisvo l len, unerklärlichen Ungeheuerlichkeit anzunehmen, bis wir das passende Stück gefunden haben, die Synthese, das Zusammenfinden, das uns das Leben so leben läßt, wie es eigentlich gedacht ist. Und dann können wir ewig leben. Oder zumindest dem ‚ewig’ so nahe, daß kaum noch ein Unterschied besteht.“
Timothy sagte: „Und du willst, daß wir glauben, das Buch der Schädel könnte den Weg dahin zeigen, was?“
„Zumindest ist es eine Möglichkeit. Es gibt uns die begrenzte Chance, die Unbegrenztheit zu erreichen. Ist das nicht genug? Ist das nicht wenigstens einen Versuch wert? Wohin hat uns der Hohn gebracht? Wohin
Weitere Kostenlose Bücher