Bruderschaft der Unsterblichen
Ein großer, gutaussehender, muskulöser Typ wie ich, sei nicht dafür vorgesehen, die Neurosen zu haben, die die intellektuelle Wißbegierde hervorruft.
Man erwarte von mir eher, daß ich ausgeglichen und entspannt sei, wie Timothy. Meine kleine Offenbarung von Neugierde entsprach nicht meinem Charakterbild, zog man Elis Vortrag darüber in Betracht, wie mein Ch a rakter auszusehen habe. Und weil er so an diesen eth i schen Kram glaubt, erwartete ich schon, daß er mir e r klärte, der Wunsch zu lernen, sei ein fundamentaler Ch a rakterzug seines Volkes, von ein paar ehrenwerten Au s nahmen abgesehen.
Aber so richtig rückte er damit nicht heraus, obwohl er das wahrscheinlich dachte. Ich fragte mich und tue das heute immer noch, warum er glaubt, mein Leben verliefe in geordneten Bahnen. Darf man nur bis ein Meter sie b zig sein und eine Hängeschulter haben, um die Besesse n heit und die Zwänge zu besitzen, die Eli mit Intelligenz gleichsetzt? Eli unterschätzt mich; er hat ein Stereoty p bild von mir: der große, einfältige, schöne Goy. Ich wü r de ihn gern einmal in meinen heidnischen Schädel bli c ken lassen.
Wir näherten uns jetzt St. Louis, rasten auf einem le e ren Interstate Highway durch offenes Farmland; dann hinein in etwas Feuchtes und Düsteres, das sich selbst Ost-St.-Louis schimpft. Schließlich fuhren wir durch den strahlenden Gateway Arch, undeutlich breitete sich vor uns der Strom aus. Wir erreichten eine Brücke. Die Vo r stellung, den Mississippi zu überqueren, betäubte Eli. Er streckte Kopf und Schulter aus dem Wagen und starrte nach draußen, als führen wir über den Jordan. Als wir auf der St.-Louis-Seite des Stroms waren, hielt ich den W a gen vor einem beleuchteten, kreisrunden Lädchen an. Die drei rasten aus dem Auto und torkelten wie Wahnsinnige herum. Ich verließ den Fahrersitz nicht. In meinem Kopf drehten sich noch die Räder. Fünf Stunden ununterbr o chene Fahrt. Ekstase! Schließlich erhob ich mich. Mein rechtes Bein war taub. Die ersten fünf Minuten mußte ich humpeln. Aber das war mir diese fünf wunderbaren Stunden wert, diese Stunden, die ganz mir gehört hatten, allein mit dem Wagen und dem Highway. Ich bedauerte, daß wir überhaupt angehalten hatten.
13. KAPITEL
Ned
Ein kalter, dunkler, blauer Abend in den Ozarks. E r schöpfung, Sauerstoffmangel, Brechreiz, die Folgen einer anstrengenden Fahrt. Genug ist genug; hier halten wir an. Vier rotäugige Roboter torkeln aus dem Wagen. Sind wir heute wirklich mehr als tausend Meilen gefahren? Ja, tausend und noch ein paar mehr quer durch Illinois und Missouri nach Oklahoma, lange Strecken mit siebzig oder achtzig Meilen in der Stunde, und wäre es nach Ol i ver gegangen, hätten wir vor der Bewußtlosigkeit noch fünfhundert Meilen geschafft. Aber das hätten wir nicht mehr durchgehalten. Oliver hat selbst zugegeben, daß seine Konzentration heute nach der sechshundertsten Meile nachgelassen habe. Er hat uns noch bis hinter J o plin gebracht, mit einem starren Gesicht, die Hände schafften es nicht mehr, auf die Kurve einzugehen, die die Augen registrierten. Timothy ist heute vielleicht hu n dert, hundertfünfzig Meilen gefahren; ich muß den Rest gefahren sein, in einigen Etappen, insgesamt vielleicht drei oder vier Stunden. Der blanke Wahn die ganze Strecke über. Aber jetzt müssen wir halten. Die psych i sche Belastung ist zu groß. Zweifel, Verzweiflung, D e pressionen und Trübsinn haben sich in unsere feste G e meinschaft eingeschlichen. Trübsinnig, niedergeschl a gen, mutlos, desillusioniert und verzagt gleiten wir ins Motel, das wir ausgesucht haben, während wir uns je nach Charakter fragen, wie wir uns selbst dazu bringen konnten, diese Expedition auf uns zu nehmen. Aha! Das Motel Stunde der Wahrheit in Nirgendwo, Oklahoma! Das Motel Zum Rand der Realität! Hotel Skepsis! Zwa n zig Zimmer, nachgemachter Kolonialstil, rote Backstei n front aus Plastik und weiße Holzsäulen, die den Eingang flankieren. Anscheinend sind wir die einzigen Gäste. Ein kaugummikauender weiblicher Nachtportier, ungefähr siebzehn Jahre alt, das Haar zu einem phantastischen 1962er Bienenkorb hochfrisiert, mit Haarfestiger z u sammengehalten. Sie sieht uns träge an, kein Interesse blitzt in den Augen auf. Zu dick aufgetragener Lidscha t ten, türkis mit schwarzer Umrandung. Eine Nutte, eine Schlampe, zu plump auf Hure gemacht, um wirklich d a mit erfolgreich zu sein.
„Die Snack-Bar ist bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet“,
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