Bruderschaft der Unsterblichen
nur das Arschloch sich weitet, wenn man schwul ist.
Heute nachmittag gab es Ärger mit Oliver. Ich fuhr, irgendwo auf der 25 zwischen Belen und Socorro, und fühlte mich leicht und vergnügt, denn jetzt war ich der Herr des Autos und nicht nur irgendein Teil des Getri e bes. Eine halbe Meile vor mir entdeckte ich eine Gestalt, die auf unserer Straßenseite entlangwanderte, wah r scheinlich ein Anhalter. Rein instinktiv verlangsamte ich die Fahrt. Tatsächlich, ein Anhalter, mehr noch, ein Hi p pie, einer, der aus dem Jahr 1967 übriggeblieben war, mit schäbigem Haar, einer Fellweste auf nackter Brust, e i nem Stars-and-Stripes-Flicken am Gesäß seiner Röhre n jeans, einem Rucksack, ohne Schuhe. Wahrscheinlich wollte er zu einer der Wüstenkommunen und wanderte zu Fuß und allein von nirgendwo nach nirgendwo. Nun, in einem gewissen Sinn waren wir ja ebenfalls zu einer Kommune unterwegs, und ich dachte mir, wir könnten ihn ein Stück mitnehmen. Ich bremste und brachte den Wagen beinahe zum Stehen. Er sah auf, erwartete i r gendeinen Wahnsinnsakt – er hatte wohl einmal zu oft Easy Rider gesehen – und war gefaßt auf den Geweh r schuß eines guten Amerikaners. Aber die Angst ve r schwand aus seinem Gesicht, als er entdeckte, daß wir auch Jugendliche waren. Er grinste, hatte Lücken zw i schen den Zähnen, und ich konnte in Gedanken schon die gemurmelten, anerkennenden Höflichkeiten hören, wie etwa: ‚Wow, is’ aber scharf von dir, Mann, mich aufzul e sen, weißte, is’ n langer Weg, eh, die Typen hier wollen dir nicht helfen, kennste doch, Mann’, als Oliver schlicht meinte: „Nein.“
„Nein?“
„Fahr weiter!“
„Wir haben Platz genug im Wagen“, sagte ich.
„Ich möchte keine Zeit verlieren.“
„Herr im Himmel, Oliver, der Knabe ist harmlos! Und hier draußen fährt höchstens ein Auto pro Stunde an ihm vorbei. Stell dir vor, du wärst in seiner Lage …“
„Woher weißt du, daß er harmlos ist?“ fragte Oliver. Mittlerweile war der Hippie kaum noch dreißig Meter entfernt von der Stelle, wo ich angehalten hatte. „Vie l leicht gehört er zu der Familie von Charles Manson“, fuhr Oliver rasch fort. „Vielleicht ist es sein Hobby, Jungs aufzuschlitzen, die ein weiches Herz gegenüber Hippies haben.“
„Oh, Mann! Wo hört der Wahnsinn eigentlich bei dir auf?“
„Setz den Wagen in Bewegung“, sagte er mit seiner verhängnisvoll kühlen Prärie-Stimme, seiner Der-Donner-ist-im-Anmarsch-Stimme, seiner Vor-der-Dämmerung- bist-du-aus-dieser-Stadt-verschwunden-Nigger-Stimme. „Ich mag ihn nicht. Ich rieche ihn schon von weitem. Ich will ihn nicht im Wagen haben.“
„Ich bin jetzt der Fahrer“, sagte ich, „und ich werde die Entscheidungen treffen über …“
„Fahr los“, sagte Timothy.
„Du auch?“
„Oliver will ihn nicht, Ned. Du wirst ihn doch Oliver nicht gegen seinen Willen aufdrängen wollen, oder …“
„Mein Gott, Timothy …“
„Davon abgesehen ist es mein Auto, und ich will ihn auch nicht. Setz den Fuß aufs Gas, Ned.“
Vom Rücksitz kam Elis Stimme sanft und perplex: „Einen Moment mal, Jungs. Ich glaube, wir müssen hier mal eine Sache klären. Wenn Ned will …“
„Wirst du nun fahren?“ sagte Oliver, dem Schreien so nahe, wie man das gar nicht von ihm gewohnt war. Über den Rückspiegel sah ich ihn an. Sein Gesicht war rot a n gelaufen und schweißüberströmt. Eine Ader hatte sich auf erschreckende Weise auf seiner Stirn herausgebildet. Das Gesicht eines Irren, eines Psychopathen. Er schien zu allem fähig. Ich wollte wegen eines trampenden Hi p pies keine Auseinandersetzung führen. Traurig schüttelte ich den Kopf, trat aufs Gaspedal, und gerade, als der Hippie nach der Tür an Olivers Seite griff, raste der W a gen aufheulend los und ließ ihn allein und erstaunt in einer Abgaswolke zurück. Zur Ehre des Hippies muß allerdings gesagt werden, daß er keine Faust gereckt und auch nicht hinter uns ausgespuckt hat. Er ließ einfach die Schulter sinken und lief weiter. Möglicherweise hatte er die ganze Zeit mit einem blöden Scherz gerechnet. Als ich den Hippie aus den Augen verloren hatte, sah ich wieder zu Oliver. Sein Gesicht war ruhiger geworden, die Ader verschwunden, die Röte zurückgegangen. Aber immer war da noch so eine befremdlich frostige Starrheit bei ihm. Wilde Augen, ein Muskel zuckte auf seiner schönen Knabenwange. Erst nach zwanzig Meilen auf dem Highway knisterte die Spannung nicht mehr in uns e rem Wagen.
Schließlich
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