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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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hellen Ton von sich gab. Sie erkannte mich nicht oder wollte mich nicht erkennen und bediente mich mit jener gleichgültigen Freundlichkeit, die viele Verkäuferinnen der anonymen Laufkundschaft entgegenbringen.
    Ich suchte ein Grabgesteck mit Moos und Blautanne für meine Mutter aus und bezahlte mit meiner Kreditkarte. Sie las den Namen und gab mir die Karte zurück. Kein freundliches Erkennen überzog ihr Gesicht.
    Sie wusste, wer ich war. Meiner Kreditkarte hatte es nicht bedurft.
    Es hatte sich nichts geändert in dieser Stadt. Ich war noch immer die Schwester eines flüchtigen Mörders, die man am besten ignorierte oder der man gleich ganz aus dem Weg ging.
    »Danke, Dora«, sagte ich und lächelte, als sie mir die Karte zurückgab. Sie presste den Mund zu einem dünnen Strich zusammen, wischte sich die Hände an der Schürze ab und wandte sich ab. Ich nahm das Gesteck an mich, ging ohne Abschiedsgruß und fragte mich, wer mir da eben aus dem Auto so freundlich zugewinkt hatte.

6
    Kuhfelde war ein langgezogenes Dorf mit knapp 600 Einwohnern. Es lag etwa acht Kilometer südlich von Solthaven Richtung Magdeburg.
    Am Ortseingang empfing mich ein orangefarbenes Schild mit großen schwarzen Lettern: »Noch 100 Meter bis zum Kinderschänder«. Trotz des anhaltenden Schneefalls erkannte ich eine Gruppe von acht Demonstranten, kaum dass ich das Schild passiert hatte.
    Die Gruppe hatte sich neben einem weiteren Plakat um einen Campingtisch versammelt, auf dem zwei Thermoskannen standen. Ein Polizeiwagen parkte gegenüber, und zwei Beamte standen neben den Bewohnern, die mein Auto misstrauisch beäugten, als ich es hinter dem Einsatzwagen parkte.
    Bevor ich ausstieg, kramte ich vorsorglich meinen Presseausweis aus dem Portemonnaie und steckte ihn in die Jackentasche. Entschlossen, mich nicht in eine Diskussion verwickeln zu lassen, zwängte ich mich durch die Leute, die vor der Gartenpforte standen.
    Eine gedrungene Frau in einem langen grauen Daunenmantel versperrte mir den Weg. Ihr Gesicht war kantig und ihre Wangen vor Kälte gerötet. Sie trug derbe geschnürte Männerschuhe und dicke Fäustlinge, auf denen eine dünne Schneeschicht wie Raureif lag.
    »Was wollen Sie hier?«, fauchte sie mich an. Vor ihrem Mund bildeten sich kleine Wölkchen.
    »Ich mache nur meinen Job«, antwortete ich, zog meinen Presseausweis aus der Jackentasche und hielt ihn ihr unter die Nase. Die Schneeflocken hinterließen im Nu einen feuchten Film auf dem Plastikausweis.
    »Der kriegt Gelegenheit, sich zu rechtfertigen?« Sie sah zu einem älteren Mann.
    »Lassen Sie mich bitte einfach durch.«
    »Jetzt lass sie schon gehen«, sagte der Mann.
    Ich wischte den Ausweis an meiner Jeans ab, steckte ihn zurück in die Jackentasche und zwängte mich an der Frau vorbei.
    »Das stinkt doch zum Himmel!«, hörte ich sie hinter meinem Rücken, während ich den Gartenweg auf das Haus zuging. »Warum befragen Sie nicht die Angehörigen der Opfer, Eltern, Freunde?«
    In einem der beiden Fenster, die nach vorn gingen, bewegte sich eine Gardine.
    Ein Schneeball traf meinen Rücken, ein weiterer flog vorbei, dann traf mich einer am Kopf. Ich drehte mich nicht um, und ich erwartete auch nicht, dass einer der Polizisten einschritt.
    »Meine Güte, Iris«, hörte ich wieder die Männerstimme. »Davon wird es auch nicht besser.«
    Jemand öffnete die Haustür, bevor ich sie erreichte, und zog mich hastig ins Haus. Ich wollte etwas sagen, doch der Mann kam mir zuvor.
    »Erschrecken Sie nicht. Ich bin Ludger«, sagte er. »Der Bruder. Tut mir leid, wir hätten Sie warnen sollen.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Schon okay.«
    Ich trat mir den Schnee von den Schuhen und folgte ihm in ein spärlich möbliertes Zimmer, in dem die Jalousien heruntergelassen waren und in dem sich der kalte Rauch verglommener Zigaretten mit einer stickigen Heizungsluft mischte und mir beim Betreten fast den Atem nahm.
    Die Hände vor sich verschränkt, saß Roland Koslowski in Jeans und dunkelblauem T-Shirt an einem runden Esstisch und starrte mir wortlos entgegen. Ich nickte ihm zu und setzte mich ihm gegenüber auf einen Holzstuhl, der verdächtig knarrte.
    Zu gern hätte ich ein Fenster aufgerissen und gelüftet, doch der Raum ging nach vorne raus, und jede Bewegung am Haus würde den Zorn der Demonstranten nur weiter schüren. Ich hoffte nur, dass mir nicht wieder übel würde. Immerhin hatte ich das Baguette gegessen. Manchmal dämpfte es die Übelkeit, wenn ich etwas im Magen

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