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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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und dreh dich nicht um. Leos Leben ist nicht dein Leben. Du kannst hier niemanden retten. Dein Bruder hat damals eine Entscheidung gefällt. Und du musst jetzt auch eine treffen. Ich meine, die kann nur lauten: Rette dich selbst. Es ist nicht davon auszugehen, dass du noch einmal jemanden wie Alex triffst.«
    Ich wollte diese Diskussion nicht, und ich hatte noch etwas anderes auf dem Herzen.
    »Koslowski hat gestern etwas Merkwürdiges erzählt«, sagte ich in die Stimme des Radiomoderators hinein, der soeben »Love Me Tender« ankündigte. »Er sagte, Leo sei nicht einfach verschwunden. Und Charles sei der Vater von Laurens Zwillingen.«
    Einen Moment lang starrte Adam mich nur an, dann wandte er sich ab.
    Ich berührte seinen Arm.
    »Was?«, fragte er und sah mir in die Augen. »Solche Gerüchte kommen und gehen. So läuft das doch seit Jahren. Leo ist fort. Finde dich damit ab. Es hat schon deine Mutter ins Grab gebracht, dass sie nie damit abgeschlossen hat.«
    »Aber warum hat Koslowski es mir erzählt?«, hakte ich nach und suchte in seinem Gesicht nach etwas, das ich nicht benennen konnte. War es Unsicherheit? Oder Gewissheit? Stärke oder Angst? Doch in seinem Gesicht lag nur diese leere Müdigkeit, die ihn umgab wie ein dunkler Mantel.
    »Weil er pervers war«, sagte er, »und einen letzten großen Auftritt brauchte. Du warst nur sein Publikum.«
    »Koslowski hat Claudia nicht umgebracht. Er hatte einen Deal mit Kortner«, sagte ich bestimmt und erzählte ihm, was ich von Koslowski erfahren hatte.
    »Du glaubst also, dein Bruder hat Charles erschossen, dann seine eigene Freundin missbraucht, gefoltert und getötet – und Kortner hat ihn gedeckt? Willst du mir das sagen?«
    Seine Stimme klang in keiner Weise aufgebracht. Sie hörte sich nur traurig an – und elend. Als könnte er es nicht mehr ertragen, darüber zu spekulieren, wo Leo war, warum er sich nicht ein einziges Mal gemeldet hatte und warum er uns so sehr misstraute, dass er uns aus seinem Leben verbannt hatte.
    »Nein, ich will nicht sagen, dass Leo ein perverser Mörder ist. Natürlich nicht. Aber wenn es Koslowski nicht war, war es jemand anders, und dieser Jemand läuft noch immer frei herum.«
    Mein Vater zuckte mit den Achseln. »Es bringt deinen Bruder nicht zurück.«
    »Aber was, wenn Leo etwas gesehen hat? Was, wenn man ihm gedroht hat, uns alle umzubringen, sollte er jemals zurückkehren?«
    »Fragst du dich das?«
    Ich nickte.
    »Leo kann nicht zurückkommen. Er würde wegen Mordes angeklagt, nicht wegen Totschlags. Und Mord verjährt nicht«, sagte mein Vater. »Außerdem ist er clever. Deshalb solltest du davon ausgehen, dass er keinen Kontakt zu uns will. Wollte er es, hätte er sich längst gemeldet.«
    Wir schwiegen beide.
    »Es gibt da noch etwas«, sagte ich.
    Mein Vater zog kaum merklich die Brauen hoch.
    »Vor ein paar Monaten wurde doch hier in der Nähe diese junge Frau ermordet.«
    »Und?«
    »Sie wurde ebenso wie Claudia vergewaltigt, und sie wurde auf dieselbe Weise ermordet wie die Kinder damals.«
    Während ich es aussprach, war meine Stimme ruhig, doch es schien mir, als schlitzte jeder Satz mein Herz auf.
    Mein Vater nahm die Fernbedienung, stellte das Radio ab und wandte sich mir zu, die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt.
    »Der Typ hat versucht, dich zu manipulieren, Julie. Das war nichts anderes als Manipulation.«
    »Es würde bedeuten, dass es sehr wohl einen Nachahmungstäter gibt.« Ich schwieg einen Moment.
    »Oder dass dein Bruder wieder da ist, nicht wahr?«
    Er sprach aus, was ich nicht zu sagen wagte. Ich nickte. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und ich hatte Mühe, mich zu beherrschen.
    »Und wenn es so wäre?«, fragte er.
    »Dann müssen wir ihn finden, bevor Kortner ihn findet. Koslowski sagte …« Meine Stimme erstickte in den Tränen, die ich noch immer zurückhielt.
    »Koslowski …« Mein Vater spuckte den Namen aus, als hätte er fauligen Schlamm im Mund. »Leo war kein Mörder. So einfach ist das.«
    »Woher weißt du das so genau? Woher willst du wissen, dass er Charles’ Tod nicht doch geplant hatte?«
    »Weil deine Mutter und ich keinen Mörder großgezogen haben.«
    »So einfach ist das für dich?«
    Er stand auf. »Möchtest du ein Glas Wasser?«
    Ich schüttelte den Kopf, und dann sah ich ihm nach, wie er durch die Tür in den Flur ging, schleppend und gebeugt wie ein alter Mann, dem das Leben eine kaum zu tragende Last auf die Schultern gelegt hatte.
    Ich brauchte frische

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