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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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und auf den ganzen Rest der Welt. Nicht nur Max hatte eine Familie gewollt. Nein, auch ich hatte mir eine gewünscht, seitdem ich schwanger war. Jeder Mensch sollte eine Familie haben – und Max und ich auch.
    Zurück in meinem Zimmer, riss ich mir die Kleider vom Leib, ließ sie dort liegen, wohin sie gerade fielen, und huschte ins Bad. Ich duschte und schrubbte meinen Körper mit einem Luffahandschuh, als müsste ich den Dreck dieser Welt von mir bürsten. Noch immer wütend, putzte ich mir die Zähne, warf mir ein ausgeleiertes T-Shirt über, stieg in eine abgetragene Pyjamahose und ging endlich ins Bett.
    Ich wartete, dass mir die Augen zufielen, stattdessen kreisten meine Gedanken wieder um den Aktenordner. Ich hatte dieses eigenartige Gefühl, das mich manchmal überkam, wenn ich mich mit einem Gerichtsfall befasste. Ich hatte das Recherchematerial zusammengetragen und Opfer, Polizeibeamte oder Staatsanwälte befragt. Ich hatte die Interviews auf dem Diktiergerät noch einmal abgehört und meine Unterlagen und Notizen studiert. Dennoch wusste ich, dass noch immer etwas fehlte, um den Artikel zu schreiben. Etwas Entscheidendes.
    Etwas Entscheidendes fehlte auch diesmal.
    Cornelius und ich hatten etwas übersehen.

37
    Jemand zog die Bettdecke über meine Schulter.
    Ich blinzelte. »Wie spät ist es?«
    »Kurz nach sieben«, sagte mein Vater, »schlaf dich aus.«
    Er sammelte die Notizen und Artikel von meinem Bett, schob hier ein wenig, rüttelte da und legte die Seiten schließlich in einem ordentlichen Stapel auf den Fußboden. Dann beugte er sich über mich und strich mir das Haar aus dem Gesicht. »Lass dir Zeit«, sagte er und küsste mich auf die Stirn, wie es früher Eddie getan hatte, wenn es mir schlecht ging.
    Gequält lächelte ich ihn an und wartete, dass er das Zimmer verließ. Ich lauschte auf seine Schritte, die sich draußen auf dem Korridor entfernten, während ich mir wünschte, Alex möge mich in die Arme nehmen, mir zuflüstern, alles würde gut werden und ich müsste mir keine Sorgen mehr machen. Er wäre da. Jetzt und für immer. Für mich, für Max und für das Baby.
    Tagträume eben. Noch dazu lausige. Alex gab es nicht mehr.
    Ich presste die Hand auf den Mund und drückte den Kopf ins Kissen. Das Weinen schüttelte meinen Körper, und ich ergab mich dem Schmerz.
    Mistkerl, dachte ich auf einmal mit einer Schärfe, die mich selbst überraschte.
    Ich setzte mich auf. Mein Gesicht glühte, und meine Augen brannten. Ich nahm ein Taschentuch vom Nachttisch und putzte mir die Nase.
    Was war Alex für ein Mann? Verschwand ohne jedes Wort, nur weil ich jemanden liebte, der seit Langem tot war?
    Ich hatte genug von ihm, und ich war meiner Hilflosigkeit, meiner Trauer und meines Selbstmitleids überdrüssig. Ich wollte etwas tun, etwas aufklären, verdammt noch mal. Ich wollte wissen, wo Leo war, ob er Claudia umgebracht hatte, ob Nora und Vera Schnitter, ob Margo. Ich wollte wissen, ob Leo ein Serienmörder war.
    Koslowski war überzeugt gewesen, schlauer zu sein als alle anderen. Er hatte nichts dem Zufall überlassen. Er spielte Spiele. Jetzt war er tot. Warum hatte er mir erzählt, er habe Claudia nicht ermordet? Worin lag sein Triumph, wenn er ihn nicht mehr erlebte? Was verbarg der Ordner?
    Ich schaltete die Nachttischlampe an und nahm mir noch einmal Koslowskis Materialsammlung vor.
    Ich war wie mein Vater ein Frühaufsteher. Bevor ich in die Redaktion fuhr, arbeitete ich morgens im Bett oft noch ein paar Unterlagen durch. Es war keine Last, sondern ein geruhsames Warmlaufen für den bevorstehenden Tag.
    Cornelius und ich hatten die Artikel am Abend zuvor chronologisch geordnet, so dass regionale und überregionale durcheinander abgeheftet waren. Ich heftete nun alle regionalen Artikel der Solthavener Zeitung chronologisch hintereinander.
    Die meisten waren von einem P. B. gezeichnet, doch P. B. hörte vor Koslowskis Prozess auf zu berichten. Die letzten Artikel waren von einem H. M. gezeichnet. Das Kürzel sagte mir ebenso wenig wie P. B.
    Ich lauschte. Das Haus war wieder still. Chris und Max schliefen noch, und mein Vater hatte sich wohl wieder in sein Zimmer zurückgezogen.
    Ich überlegte, ob ich bei der Solthavener Zeitung anrufen sollte. Vielleicht hatte ich Glück und es gab noch einen der alten Hasen, der sich an einen P. B. oder H. M. erinnerte.
    Tageszeitungen waren in der Regel rund um die Uhr besetzt. Zumindest aber würde auch bei diesem Lokalblatt irgendein Redakteur

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