Bruderschatten
Bereitschaftsdienst haben und sich melden, wenn ich die Zentrale anrief.
Ich griff nach meinem Handy, wählte die Auskunft und ließ mich mit der Zeitung verbinden. Während ich wartete, fuhr ich mein Laptop hoch.
Die weibliche Stimme, die sich meldete, klang jung. Sie gestand, erst seit drei Monaten als Volontärin bei der Zeitung zu arbeiten und noch nie von einem P. B. gehört zu haben.
»Vielleicht von einem H. M.?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Das sei das Kürzel von Heiner Mundt, dem Ressortleiter für Lokales. Ich erklärte, dass ich ihn dringend sprechen müsste, und sie bat mich, in der Leitung zu bleiben.
Während ich wartete, wählte ich meine Mailbox an und überflog die eingegangenen Nachrichten. Es überraschte mich nicht einmal mehr, dass ich keine von Alex fand.
Am anderen Ende der Leitung meldete sich schließlich ein Mann mit einer Stimme, die so rau und müde klang, als hätte er die Nacht durchgefeiert.
»Was gibt’s denn?«
»Guten Morgen«, sagte ich munterer, als ich mich fühlte. »Julie Lambert hier.«
»Heiner Mundt«, knurrte der Mann.
»Ich bin Reporterin«, begann ich.
»Ach«, kam es noch knurriger zurück.
»Aus Hamburg.«
»Und? Wo ist jetzt der Knaller?«
»Lambert war der Knaller.«
Er schwieg einen Moment. Dann lachte er, wobei seine Stimmbänder knarrten wie die Angeln eines Tores, das man seit Ewigkeiten nicht geöffnet hatte.
»Julie Lambert?«, wiederholte er dann. »Ist Jahre her, was?«
»Ja.«
»Und? Was wollen Sie so früh?«
»Ich habe eine Frage. Wer ist P. B., und wo kann ich ihn finden?«
»P. B.?«, fragte er eine Spur weniger knarrend. Dann schwieg er.
»P. B., sagt Ihnen das was?«
»Ja«, sagte er. »Klar. Er ist tot. Sein Name war Peter Bartels.«
»Woran ist er gestorben?«
»Das wissen Sie nicht?«, fragte er, und ich vernahm das Schnappen eines Feuerzeugs. »Autounfall. Die Polizei hat es jedenfalls als Unfall abgelegt.«
»Das klingt, als würden Sie etwas anderes glauben.«
»Yep.«
»Möchten Sie es mir sagen?«
»Ich glaube, jemand hat da was gedreht.«
»Und was?« Ich kramte auf dem Boden nach einem Bleistift und meinem Notizheft und machte mich bereit, Wichtiges mitzuschreiben. Das tat ich immer, wenn ich mein Aufnahmegerät nicht mitlaufen ließ. Auch wenn mein Gedächtnis gut funktionierte, war es doch gut zu wissen, dass ich die Fakten schriftlich festgehalten hatte.
»Für ’ne Reporterin sind Sie ziemlich schlecht vorbereitet«, sagte er. »Wie machen Sie denn so Ihre Recherchen?«
»Indem ich Leute wie Sie anrufe«, erwiderte ich trocken.
Er lachte wieder und stieß hörbar Rauch aus. Dann begann er zu erzählen. Ich legte das Handy aufs Bett, schaltete den Lautsprecher ein und schrieb mit fliegendem Stift das Wesentliche mit.
»Peter Bartels starb angeblich bei einem Autounfall, als er mitten in der Berichterstattung zum Fall Koslowski steckte. Ich war damals noch ein junger Spund. Hatte gerade erst angefangen. Ich hab dann nach Peters Tod die letzten Artikel geschrieben. Er hatte mich ein bisschen unter seine Fittiche genommen. Deshalb war ich auch ganz gut über den Fall informiert. Dann soll Peter nachts von der Fahrbahn abgekommen sein, auf einer Strecke, die er wie seine Westentasche kannte, und er soll gegen einen Baum gefahren sein? Völliger Unsinn, wenn Sie mich fragen. Aber die Polizei konnte den Fall damals gar nicht schnell genug zu den Akten legen. Trunkenheit am Steuer, lautete die Unfallursache. Das Ding hatte nur einen Haken.«
Er schwieg und stieß erneut Rauch aus.
Ich schwieg ebenfalls.
»Er hatte etwa vier Monate vorher aufgehört zu trinken«, fuhr er schließlich fort. »Davor hätte ich den Autounfall jedem abgenommen. Doch an diesem Tag nicht mehr. Er hat jahrelang gesoffen. Richtig gesoffen. Morgens schon den ersten Schnaps zum Kaffee. Meistens begann er mit Kirschlikör. Den gab es ja immer. Für meinen Geschmack viel zu süß und klebrig. Erinnern Sie sich an das Zeug?«, fragte er.
Ich erinnerte mich sogar gut. Leo und Charles hatten sich damit mal sinnlos betrunken, Leo wegen irgendeiner Frau, Charles einfach so. Dann hatte Leo sich in der Küche ins Waschbecken übergeben. Ich musste es säubern, weil er dazu nicht mehr in der Lage war.
»Dabei war er immer klar im Kopf«, hörte ich Heiner Mundt weitersprechen. »So war es nicht. Aber er brauchte eben den Alkohol. Bis er diese Frau beim Turnfest kennen lernte. Es hatte ihn richtig erwischt. Noch am selben Abend erzählte er
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