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Bruderschatten

Bruderschatten

Titel: Bruderschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mika Bechtheim
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manchmal Augenzeugen. Nach Möglichkeit besuchte ich auch den Tatort. Ich sammelte akribisch alles, was sich mir bot, unter dem Motto »Bring immer den Namen des Hundes mit«. Erst dann schrieb ich meine Artikel.
    Ich hatte mir Koslowskis Ordner bislang immer nur flüchtig angesehen, weil ich den Anblick all der verstümmelten Kinder nur schwer ertrug. Er musste jedoch etwas enthalten, das uns weiterbringen konnte. Weshalb sonst sollte Koslowski ihn mir gegeben haben?
    Cornelius und ich benötigten vier Stunden, in denen wir zunächst das Material sortierten. Wir lasen das eine, überflogen das andere, und ich machte mir Notizen, wenn mir etwas einfiel, auffiel oder fragwürdig vorkam. Es gab regionale und überregionale Zeitungsartikel zu den Mordfällen und zu Koslowskis Prozess. Es gab Zeugenvernehmungen, Vernehmungsprotokolle von Angehörigen, Arbeitgebern, Freunden und Bekannten, die wir ordneten und dann beiseitelegten. Wir lasen Protokolle der Aussagen von Polizisten, darunter die von Felix Kortner. Wir studierten Koslowskis Aussagen vor Gericht, drei Gutachten zu seiner Persönlichkeit und Schuldfähigkeit, und wir überflogen das Gerichtsurteil inklusive der 26 Seiten langen Begründung. Außerdem hatte Koslowski das Gutachten zu seiner Haftentlassung abgeheftet und alle Artikel zum Mord an Vera Schnitter vor vier Monaten.
    Koslwoski hatte ein paar Notizen an den Rand geschrieben und ein Gedächtnisprotokoll angefertigt über das Gespräch mit Kortner, als der ihm vorschlug, die Schuld für Claudia Langhoffs Tod auf sich zu nehmen. Es verriet mir nichts, was ich nicht schon erfahren hatte.
    Irgendwann war ich todmüde, ausgelaugt und erschüttert. Fast hätte ich mein Baby verloren und sah mich nun erneut all diesen Kindern gegenüber, deren Obduktionsfotos säuberlich abgeheftet waren wie für eine Trophäensammlung.
    »Scheiße«, sagte Cornelius und klappte den Deckel des Ordners zu. »Dieses Stück Dreck.«
    »Wir haben etwas übersehen«, sagte ich. »Der wollte mir nicht einfach nur ein Interview geben. Der wollte, dass ich diesen Ordner erhalte. Wieso wollte er das, wenn nichts drin zu finden ist?«
    »Wir haben den ganzen Mist sortiert und gesichtet. Ich muss jetzt ins Bett. Wirklich«, sagte Cornelius. »Lass uns morgen weitermachen. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren.«
    Cornelius ging zur Küchentür, um seine Jacke von der Garderobe zu holen.
    »Danke, dass du gekommen bist«, sagte ich leise in seinem Rücken und stand auf.
    Abrupt drehte er sich zu mir um. »Weiß der Wichser endlich, dass du schwanger bist?« Er kam auf mich zu und nahm mich in die Arme.
    »Sprich nicht so von ihm.« Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. »Ich wollte es ihm sagen. Doch dann fragte er mich, ob ich Charles noch liebe, und ich sagte ja.«
    »Und wo ist das Problem?«
    »Er kommt damit nicht klar.«
    »Nur weil meine Frau tot ist, höre ich doch nicht auf, sie zu lieben. Was ist das denn für ein Schmarren. Es wäre nur schlimm, wenn ich deshalb niemand anderen mehr lieben könnte.«
    »Ach, Conny, du weißt doch selbst, dass das nicht so leicht geht.«
    Er strich mir sanft übers Haar.
    »Er hat sich aus dem Staub gemacht. Ich wusste, dass das früher oder später passiert. Er hat es nie ernst mit dir gemeint, hast du das nie begriffen? Spaß haben, ja. Nachts in Bars rumhängen, klasse. Tanzen gehen, großartig. Hätte er es jemals ernst gemeint, hätte er sich auch mal freiwillig um Max gekümmert und wäre auch mal das ganze Wochenende mit euch zusammengeblieben und nicht jede Samstagnacht nach dem Vergnügen nach Hause abgehauen.«
    »Nicht jeder ist ein Familienmensch«, sagte ich lahm.
    »Aber jeder will eine gut aussehende Frau vögeln.«
    Es war eine Steilvorlage für ein Thema, über das ich mich an diesem Abend unter keinen Umständen noch einmal unterhalten wollte. Ich ließ die Vorlage vorüberziehen.
    »Geh jetzt besser«, sagte ich und schob ihn weg.
    Ich begleitete ihn zur Haustür, verabschiedete ihn und ging dann mit dem Ordner ins Dachgeschoss. Ich sah nach den beiden Kindern in Leos Zimmer. Chris schlief im Bett, Max auf der Luftmatratze, die Adam ihm aufgepumpt hatte. Ich steckte Chris’ Arm unter die Bettdecke, zog Max’ Decke zurecht und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.
    Ich sah ihn gerührt an, und plötzlich überkam mich ein heilloser Zorn auf Alex, der sich ohne ein Wort aus meinem und Max’ Leben gestohlen hatte. Und dann wurde ich wütend auf Leo und sogar auf Charles

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