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Brüchige Siege

Brüchige Siege

Titel: Brüchige Siege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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der Klinge meines Schälmessers zu entfernen. Der Schmerz hielt sich in Grenzen, doch beim Bohren und Hebeln entwich reichlich von meinem fahlen Blut. Ich strich Fichtenharz auf die Wunden und verband sie mit Stoffstreifen. Hinkend und
    zutiefst verbittert legte ich meine Beinkleider an und schleppte mich zu einem mehrere Meilen entfernten, verwaisten

    Zederngehölz. Dort im Schutz der Bäume errichtete ich aus
    Ästen und Segeltuch eine Behausung, in der ich über meinen
    ›Aussatz‹ grübeln und wieder zu Kräften kommen wollte.
    Meine Genesungskur zog sich hin und mündete unversehens
    in einen Winterschlaf von der Art, wie ich ihn weit im Westen in der vereisten Kaverne gehalten hatte. Ein Blizzard kam und ging. Aus dem herbstlichen Zwielicht wurde Nacht. Mag sein, ich ahnte den Strom der Zeit, doch im Schoß meines
    Unterschlupfs kam mir das Peitschen des Hagels, das Klagen des Windes und das spröde Licht, das die Sterne in den Wald streuten, eher wie ein inwendiges Geschehen vor und nicht so sehr wie ein äußeres. Mein Zustand ähnelte dem eines Salms, der, vom Hieb eines Bären betäubt, zuckend auf dem Felsen
    liegt und dennoch weiß, wie ihm geschieht.
    Schließlich erwachte ich bei Eis und Schnee und rauhen
    Windharfenklängen. Meine Wunden waren verheilt. Mit
    frischer Kraft kämpfte ich mich aus meinem Wintergrab und
    machte mich wieder auf den Weg zu den fernen Luftschlössern meiner Einfalt…

    Beim Essen maulte Curriden über die Brötchen. Kizzy hätte
    den Teig wahrscheinlich mit Soda statt mit Backpulver
    angerührt. (Oder umgekehrt.) Wie Kälberscheiße sähen sie aus,
    und schmecken täten sie wie Pauspapierasche.
    »Mrs. Lorrows hatte eben einen schlechten Tag«, meinte
    Jumbo.
    »Ah-ah«, meinte Kizzy. »Aber manchmal hab ich einen
    schrecklichen Tag, wenn Leute wie ihr gehässiges Zeug
    reden.«
    »Mr. Curriden hatte auch einen schlechten Tag«, sagte
    Jumbo.

    »Diese Brötchen bringen einen Ochsen um«, sagte Curriden.
    »Von innen oder außen, ob er sie frißt oder an den Kopf
    kriegt.«
    »Von hier aus kriegt er sie an den Kopf«, versetzte Kizzy und
    zeigte mit dem krummen Finger. »Beten Sie, daß ich Ihren Tee
    nicht vergifte.«
    Ich kraxelte wieder in den zweiten Stock, um weiterzulesen,
    wo ich aufgehört hatte, derweil sich der Disput in der Küche zu einer Fehde auswuchs. Nicht lange, und ich watete wieder
    hüfttief durch Jumbos Autobiographie, und die Schikaniererei
    im Parterre hätte ebensogut auf Sansibar sein können. Ich hörte nichts mehr davon.

    31

    Mein zweites Leben (Fortsetzung)

    Ebenso ziel- wie planlos durchwanderte ich die kältesten und am wenigsten bekannten Gebiete der sibirischen Wildnis, von den nördlichsten Buchten über die entlegensten Gegenden bis zu den schütteren Taigawäldern des Kolyma-Gebirges. Wozu
    lebte ich?
    Ich fand gute Gründe: um die Morde zu sühnen, die ich als
    Frankensteins verstoßener Sproß begangen hatte; um einen
    geeigneten Ruheplatz für meinen Erzeuger zu finden; um ein achtbares und produktives Mitglied der menschlichen
    Gesellschaft zu werden.
    Vergebene Liebesmüh!
    Wie gesagt, die Kälte entsprach meiner Natur, und selbst eine dünne Suppe aus solch verschmähten Dingen wie Flechten,
    Baumrinde, Tannennadeln, Moos und den Knollen und
    Wurzeln ansonsten wenig verlockender Sträucher reichte aus, um mich bei Kräften zu halten. Eine Geißel auf meinem
    Leidensweg war der Entschluß, nie wieder Fleisch zu essen, und ich hielt mich strikt daran. Sonst bot sich wenig
    Gelegenheit zur Sühne, und mich beschlich eine Verzagtheit, die sich gegen meine schlichtesten Bestrebungen wendete.
    Der Leichnam meines Schöpfers warf immer wieder
    Probleme auf, insofern er mich zu Umwegen zwang, wiewohl
    ich kein Ziel hatte. Inzwischen hatten ihm die Elemente tüchtig zugesetzt, und auch die Temperaturschwankungen. Sein
    Gesicht, ungeachtet der Blässe, die von seinem inneren
    Aufruhr und der fiebrigen Krankheit rührte, erinnerte nunmehr an das einer Schildkröte. Die Nase nahm sich aus wie ein Schnabel, der Mund wie eine v-förmige Narbe, der Hals wie
    ein verdorrter Kehllappen. Während ich eine Zeitlang
    unaufmerksam gewesen war, war der eine seiner gefrorenen
    Augäpfel einer Elster zum Opfer gefallen; der andere war im Laufe mehrerer Tage – ich meine das ganz und gar nicht
    zynisch
    – blendend hellem Sonnenschein schier
    dahingeschmolzen.
    Dank der hartnäckigen Kälte (die nur ab und an durch solche sonnigen Perioden gemildert

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