Brüchige Siege
seinen Familiennamen ›Roos‹ so aussprachen, als verbinde ihn mehr mit ihrem Mutterland als die kruden Interessen eines
Kaufmanns. Sie neckten ihn wegen seines rosigen Gesichts und seiner struppigen Bartkoteletten. In solchen Fällen hatte er die Gewohnheit, mit einem Schwall grober Flüche zu antworten,
ein harmloses Gepolter, das man in Kauf nahm. Das alberne
Kauderwelsch, aus dem sein Russisch bestand, trug zur
allgemeinen Erheiterung bei und provozierte weiteren Spott.
Die Seeleute betrachteten ihn, wie es schien, als ihr
Maskottchen. Allerdings kam er mit den Jukagirs in Janalach besser zurecht als die meisten Russen und brach trotz seiner Grobheit selten einen ernsthaften Streit vom Zaun.
Einmal wagte ich mich weit genug vor, um seine Geschäfte
mit einem Mann aus dem Clan der Jakets zu belauschen, der
unter dem Pultdach einer Schmiede seinen transportablen
Schmelzofen betrieb. Aus verschiedenen Metallartikeln, die er im Tausch gegen Felle und Schmucksachen von den Seeleuten
bekam – Gürtelschnallen, Angelhaken, Lukenringe und
dergleichen, stellte er Kochgeräte und Waffen für seinen
Stamm her.
Ross feilschte lebhaft um ein Rudel kleiner Eisbären aus
Metall. Der Schmied wollte sie nur und ausschließlich gegen die alte Pistole tauschen, die im Gürtel des Schotten steckte, was dieser, wie ich mutmaßte, von Anfang an gewußt hatte.
Die Pistole hatte schon beträchtlich Rost angesetzt, und der Abzug ließ sich nicht betätigen. Zu guter Letzt aber wurden sie handelseinig, woraufhin der Jaket das Feuer schürte und aus dem Lauf der Flintsteinwaffe eine stattliche Tabakpfeife zu schmieden begann. Ross sah ihm mit offenkundiger
Anerkennung zu (was ich heimlich auch tat). Später, nach
geraumer Zeit, mußte jener Nomade, der die Pfeife erwarb,
nach Janalach zurückkehren, um sich Tabak zu besorgen.
Nachdem Ross den Schmied verlassen hatte, ging er zu einem Haufen zusammengetragener Flußsteine nahe am Wasser.
Vielleicht um sich an seiner Beute zu weiden, ließ er sich auf einem größeren Stein nieder und kramte, wie eine Kind seine Zinnsoldaten, die Eisbärfigürchen zwischen seinen Beinen auf Ich näherte mich ihm von hinten, umspannte seinen Mund samt Backenbart und zwang ihn auf den Rücken; die Figürchen
fielen um und purzelten herunter. Seinen Schrei erstickte ich mit der Hand. Zusätzlich übte ich einen Druck auf sein Kinn aus, der ihm unmißverständlich zu verstehen gab, daß ihm
weitere Gegenwehr das Genick brechen würde. Ich bedauerte
den Umweg, hielt ihn aber für erforderlich, um Ross zu
beruhigen. Er ließ sich zurücksinken, blankes Entsetzen in den Augen, als er meiner gewahr wurde.
»Wann kehrst du in dein Land zurück?« fragte ich ihn auf
englisch.
»Was für eine Kreatur bist du?« fragte er zurück, als ich
versuchsweise seinen Mund freigab. »Warum dieser
Überfall?«
»Weil du hier der einzige bist, der die Sprache spricht, die ich jetzt benutze«, sagte ich.
»Dann verfluche ich zum ersten Mal mein Vaterland«,
flüsterte Ross. »Bitte, laß mich los.«
»Wann hast du vor, in deine Heimat zurückzukehren?«
»Im Herbst«, sagte Ross. »Sobald die Tamyr Princess in
Murmansk* eingelaufen ist und ich die Überfahrt buchen
kann.«
» Überfahrt wohin? « fragte ich.
»Ich habe Familie in Kirkcaldy*, die ich seit fünf Jahren
nicht mehr gesehen habe«, sagte er. »Ich flehe dich an, mir ein Wiedersehen nicht zu verwehren.«
»Du hast nichts zu befürchten, Angus Ross aus Kirkcaldy.
Allerdings verlange ich von dir einen nicht unbilligen Dienst.«
»Ich stehe dir zu Diensten.« Bei diesem Zugeständnis lächelte ich, vielleicht zum ersten Mal seit meiner Wiedergeburt; der Schotte scheute vor meinem Lächeln zurück wie vor einem
gezückten Dolch. »Bitte, Sir, sagen Sie mir, was ich tun soll.«
»Sie sollen wissen, Mr. Ross, daß ich Sie nicht um
meinetwillen, sondern um eines anderen Willen um diese
Gefälligkeit bitte. Und ich habe Ihnen so aufgelauert, wie ich es tat, weil ich nur zu gut weiß, wie feindselig, ja gewalttätig Ihresgleichen immer und überall auf mein plötzliches
Erscheinen reagiert.«
»Das leuchtet mir ein«, sagte Ross mit zusammengebissenen
Zähnen.
Ich ließ ihn los. Er machte keine Anstalten, Reißaus zu
nehmen, und ich legte den Finger an die Lippen. »Denken Sie daran«, flüsterte ich, »wenn Sie einmal an Bord sind, zur
Verschwiegenheit über mich und ihren Auftrag verpflichtet, liegt es nicht mehr in
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