Brüchige Siege
verdankt, hat die Geschichte weder ersonnen noch geschrieben. Der Text von ›Frankenstein‹ verrät zweifellos die Hand von Robert
Walton. Andererseits gebührt auch Walton nicht viel mehr
Anerkennung, als man sie einem gewissenhaften Journalisten oder Sekretär zollt, denn der Text besteht zum weitaus größten Teil aus der naturgemäß egozentrischen Autobiographie
meines Schöpfers. Der Titel nennt also zugleich den Autor.
Warum aber erbot sich eine so talentierte und redliche Frau wie Mrs. Shelley, die Urheberschaft für eine so grauenvolle Geschichte zu übernehmen?
Zunächst tat sie es ja nicht. Später dann, als das Buch
landesweit Aufsehen erregte und das ›Blackwood’s Edinburgh Magazin‹ der mutmaßlichen Autorin sinngemäß alles
erdenklich Gute für die Zukunft wünschte, womit ihre
unkonventionelle Vergangenheit vergeben und vergessen war, war es nicht mehr so leicht für sie, auf ihrer Rolle als
Herausgeberin zu beharren, und der Versuchung zu
widerstehen, das Werk ganz und gar als Produkt ihrer
ureigenen philosophischen Grübeleien und erzählerischen
Veranlagung auszugeben. 1831 erlag sie dieser Verlockung
und verbreitete die stimulierende Version ihres Gatten von einem Gruselgeschichten-Wettbewerb in der Villa Diodati
anno 1816. Des weiteren bekannte sie sich unwiderruflich zur Autorenschaft von ›Frankenstein‹, indem sie den Verlegern der revidierten Fassung von 1832 erlaubte, ihren Namen auf
dominierende Weise auf die Titelseite zu setzen. Die Tatsache, daß sie in den vierzehn Jahren zwischen diesen beiden
Editionen drei eigene Romane und allerlei nebenher vollendete Schriften veröffentlicht hatte, hat sicher entscheidend dazu beigetragen, die eigentliche Entstehungsgeschichte des Werkes zu vernebeln. Mrs. Shelley durchlitt viel in ihrem heroischen Leben – der verletzende Hochmut, mit dem sich ihre Liebsten von ihr abgekehrt hatten, und der vorzeitige Tod ihres Gatten und all ihrer Kinder mit Ausnahme des einen. Es steht mir
nicht an, diese Frau anzuprangern, nur weil sie die alleinige Urheberschaft des einen Titels beansprucht, der ihren Namen unsterblich machte. (›The Last Man‹, so hervorragend das
Werk ist, führt dagegen ein Schattendasein.)
Als ich Janalach den Rücken kehrte, ahnte ich gottlob nichts von den verschlungenen Pfaden, auf denen meine entstellte
Biographie das Licht der Welt erblicken sollte. Ich wollte lediglich die Verbrechen meines vergangenen Lebens sühnen
und in meinem zweiten Leben einen Ort finden, an dem ich
wenigstens ein bißchen Anerkennung erntete. Die
Notwendigkeit, mich zu verbergen, um einerseits gewisse
heilsame Veränderungen durchzumachen und andererseits
diskreten Kontakt mit Bewohnern der Eisküste und der Taiga aufzunehmen, erforderte Disziplin und Mut. Ich zog gen Osten und ernährte mich von Flechten und Torfmoos und von den
Blättern und Frühlingsbeeren der verschiedensten Sträucher, die hier allesamt kümmerlich und verkrüppelt aussehen. Aus Lärchenholz machte ich mir ein Paar Skier und baute mir aus Mammutknochen und immergrünem Laubwerk ein
transportables Versteck. So getarnt, konnte ich den Lagern der Nomaden und den wandernden Grenzen der Rentierherden
folgen, ohne Mensch oder Tier meine Nähe zu verraten.
Nachdem ich mehrere Monate gewandert war und manch
kritische Lage gemeistert hatte, ertappten mich allerdings, als ich ein kahles Tundragebiet durchquerte, zwei
Tschuktschenjäger und schossen mir mit ihren
zusammengesetzten Bögen einen Schwarm von Pfeilen
hinterher. Daß ich eine Bahre im Schlepptau hatte und wie ein Mensch gekleidet war, brachte sie wohl eher in Rage als daß es sie besänftigte. Ich hatte ihre Domäne verletzt, und meine Größe legte nahe, daß ich eine wahre Plage für ihre
Jagdgründe war.
Zwei Pfeile trafen, ihre Spitzen aus Walroßzahnbein gruben sich in mein Fleisch, die eine oberhalb der Hüfte, die andere in die Wade. Ich brüllte bitterböse und machte ausladende
Drohgebärden. Unbeeindruckt und kauderwelschend,
enttäuscht vielleicht, zogen sie sich zurück und wurden von einer Bodenwelle verschluckt.
Ich wähnte mich außer Gefahr und tat das Nächstliegende:
Ich kümmerte mich um meine Wunden. Ich brach die
Pfeilschäfte ab und schälte meine Beinkleider herunter. Wären meine Peiniger mit Verstärkung zurückgekommen, ich hätte in dem halbnackten Zustand ein unsäglich verwundbares Ziel
geboten. Ich beeilte mich also, die zahnbeinernen Widerhaken mit
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